Alexander Domahidi, Embotech

„Autonomie läuft bereits im Takt der Fertigung“

Das Schweizer Startup Embotech will die Logistik in Fabriken und Häfen deutlich autonomer machen. Im Interview spricht Gründer und CTO Alexander Domahidi über den Stand der Dinge der Technologie, die Skalierung von Flotten und den Weg in den Dauerbetrieb.

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Embotech-CTO Alexander Domahidi arbeitet mit seinem Team mit Hochdruck an der Automatisierung des Werksverkehrs.

Herr Domahidi, Sie sagen „Autonomie ist kein Pilot mehr – sie arbeitet.“ Was heißt das ganz konkret in der industriellen Praxis?

Wir betreiben heute Level-4-Autonomie im 24/7-Einsatz. Dabei stehen zwei schlüsselfertige Lösungen im Zentrum: Automated Vehicle Marshalling (AVM) für den innerbetrieblichen Fahrzeugfluss in Werken und Logistikzentren sowie Autonomous Tractor Solutions (ATS) für den horizontalen Containertransport in Häfen. Beides basiert auf einem gemeinsamen Tech-Stack aus Wahrnehmung, Prädiktion, Bewegungsplanung und einem zertifizierten Sicherheitslayer. Mit AVM wurden bereits über 375.000 Neufahrzeuge vollständig autonom bewegt – vom End-of-Line bis zu Test- und Verladepunkten. Parallel rollen wir ATT-Flotten in gemischtem Verkehr und bei jedem Wetter aus. Entscheidend ist: Die Systeme sind zertifiziert gemäß einschlägiger Maschinennormen, laufen produktiv auf fünf Sites mit über 22.000 Stunden Fahrerlos-Betrieb und skalieren weiter.

Schauen wir zunächst auf AVM: Wie funktioniert das genau und wo liegen die operativen Vorteile?

Bei AVM fährt die Infrastruktur die Fahrzeuge. Lidar-Sensorik in der Fabrik liefern Daten an Rechenzentren, dort laufen unsere KI-Module; an die Fahrzeuge gehen nur minimalistische Steuerpakete. Das System erreicht Zentimeter-Genauigkeit, Echtzeit-Re-Planung im Millisekunden-Takt und 30 km/h für längere Testabschnitte. Wichtig ist die Kompatibilität mit Mischverkehr: Arbeiter, Stapler, manuell bewegte Fahrzeuge – alles im selben Layout, ohne Zäune. Für Werke bedeutet das bis zu rund 50 Prozent geringere Prozesskosten, Resilienz gegen Fachkräftemangel und die Chance, förderbandintensive Layouts durch flexible, softwaredefinierte Flüsse zu ersetzen. Zudem wird der gesamte Fluss digitalisiert, was Durchsatz, Energieeinsatz und Flächennutzung optimiert.

Embotech kann bereits über eine Erfolgsgeschichte mit einem deutschen OEM berichten. Wie sahen die ersten Schritten aus und was sind die nächsten Meilensteine?

Startpunkt war die produktive Einführung von AVM bei BMW; zunächst in den drei deutschen Werken Dingolfing, Regensburg, Leipzig sowie in Oxford. Seitdem fahren wir täglich rund 2.500 Fahrzeuge autonom, rund um die Uhr. Der Roll-out geht weiter: Das Werk Debrecen in Ungarn ist AVM-befähigt und geht 2026 live, der US-Standort Spartanburg Ende 2026. Technisch erweitern wir die Use Cases über End-of-Line hinaus, etwa für großflächiges Outdoor-Parken und -Routing sowie Fahrten durch Prüf- und Teststrecken. Operativ hat BMW damit heute schon messbaren Nutzen: stabiler Takt ohne Engpässe, Reduktion von Leerfahrten und Standzeiten, weniger Anlagenabhängigkeit und bessere Datenlage für kontinuierliche Optimierung.

Was macht Embotechs Ansatz robust genug für den 24/7-Einsatz?

Wir kombinieren multimodale, KI-basierte Perzeption mittels hochgenauen Lidaren und bei den Trucks auch Kameras, mit Verhaltensprädiktion und trajektorienbasierter Planung. Darüber liegt ein Tüv-zertifizierter Sicherheitspfad auf redundanter Standard-Hardware. Wir sammeln rund zehn Terabyte Betriebsdaten pro Tag und ergänzen seltene Bedingungen wie Nebel und Schnee mit synthetisch generierten KI-Daten. Wesentlich ist außerdem die Operational Excellence: Lidar-Coverage-Planung im Digital Twin, Gesundheitsmetriken für Sensorik, One-Click-Rekalibrierung für das Werks-Ops-Team, ein Fleet-Manager zur Deadlock-Vermeidung und ein eigener HIL/Sim-Stack mit tausenden Simulationen pro Release-Zyklus. Das alles spart Stillstände – die teuerste Währung in der Produktion.

Häfen, Container, Tonnenlasten: Wo steht Embotechs zweites Produkt, die autonomen Terminal-Traktoren?

Unsere Autonomous Tractor Solution (ATS) läuft heute in gemischtem Verkehr – inklusive präzisem Rückwärts-Andocken unter Krananlagen trotz GNSS-Schatten. Wir rollen 30 Fahrzeuge bei APM-Terminals in Rotterdam aus; fünf sind bereits als Teil der Produktivflotte geliefert. Nächste Schritte sind CE-Kennzeichnung und der Go-Live bei APM-Terminals in Rotterdam in 2027. Man muss verstehen: das riesige, milliardenteure Expansionsprojekt von APMT wäre ohne Automatisierungstechnologien, wie Embotech sie liefert, undenkbar – doppelte Effizienz und sichere Abläufe, gerade weil sich heute kaum noch genügend Fahrer für ein Projekt dieser Größenordnung finden lassen. Daneben gibt es Eurogate-Operationen in Wilhelmshaven und Werkslogistik-Piloten, etwa mit Volkswagen. Das Feedback: Die autonomen Traktoren fahren extrem sanft und sicher.

Wo entsteht der ökologische Hebel – über reine Kostenvorteile hinaus?

Unser Nachhaltigkeitshebel wirkt entlang dreier miteinander verzahnter Dimensionen: Erstens senken wir Energieverbrauch und CO2-Emissionen durch kürzere, optimierte Wegeketten, weniger Leerfahrten und konstante Fahrprofile, unabhängig davon, ob die Flotte elektrisch oder konventionell betrieben wird. Zweitens schaffen wir die Voraussetzung für echten 24/7-Elektrobetrieb: Gemeinsam mit unserem Partner Rocsys integrieren wir Hands-free-Charging (CCS/MCS-fähig), sodass autonome Fahrzeuge ohne manuelles Stecken zuverlässig durchladen. Drittens erhöhen softwaredefinierte Materialflüsse die Ressourceneffizienz, weil sie kompaktere Layouts und weniger starre Infrastruktur ermöglichen – das reduziert Material- und Wartungsaufwand und schafft die Flexibilität, die alternde Anlagen nicht bieten können.

Viele Kleinigkeiten entscheiden über die Serienreife. Was waren eure wichtigsten Learnings aus dem Feld?

Der Teufel steckt im Betrieb: Gischt in Reifennähe, die Lidarsensoren triggert, Spinnweben auf Optiken, vibrierende Wände, die Sensoren verschieben – alles gesehen, alles adressiert. Deshalb brauchen Sie Design-Guidelines für Montage, Predictive Maintenance, klare OT-Schnittstellen wie Ampeln oder Schranken und geschultes Werks-Personal für Ausnahmesituationen. Nur so bleiben Verfügbarkeit und Sicherheit dort, wo sie in der Industrie sein müssen: bei nahe 100 Prozent.

Werfen wir abschließend den Blick nach vorn: Was plant Embotech für die nächsten zwei Jahre?

Bei AVM: Großflächige Outdoor-Operationen und Teststrecken produktiv machen; internationale Roll-outs, unter anderem in 2026 im BMW-Werk Debrecen und im BMW Werk Spartanburg. Bei ATS: CE-Marking abschließen, Flotte in Rotterdam stufenweise hochfahren – Ziel: 30 Fahrzeuge produktiv bis 2027. Übergreifend: Wir wollen natürlich skalieren! Wir wachsen in Europa und den USA und bauen die Daten- und Sim-Pipelines weiter aus – denn Robustheit entsteht aus Masse mal Zeit.

Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Autonomie großflächig in der Produktion einzusetzen?

Weil Reife, Zertifizierung und Betriebs-Knowhow zusammengekommen sind. Autonomie ist nicht mehr „nice to have“, sondern der Hebel für Durchsatz, Kosten und Nachhaltigkeit – und sie läuft bereits im Takt der Fertigung.