Sascha Kleinert, Accumotive

„Die ganze Welt schaut auf dich“

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Sascha Kleinert, CEO Accumotive Kamenz im Interview
Sascha Kleinert schätzt die direkte Art der Sachsen.

In seinen Händen liegt das Schicksal von Mercedes' Elektroautos. Sascha Kleinert leitet das Werk, in dem die "Gamechanger"-Batterie des CLA gebaut wird. Wie er mit dem Druck umgeht und welche Philosophie er verfolgt, erklärt er im Interview.

Die Batterieproduktion der Mercedes-Tochter ist ein komplexer Prozess – ein fein abgestimmtes Zusammenspiel aus rund 50 verschiedenen manuellen und hoch automatisierten Montageschritten. Eine Vielzahl von Komponenten – Zellmodule, Kühlplatten und Sensoren – wird präzise im Gehäuse implementiert und anschließend mit verschiedenen Elektronik-Komponenten der Batterie mittels einer integrative Hochvoltverkabelung verbunden. Abschließend erfolgt die elektrische und mechanische Absicherung anhand verschiedener Prüfstände. Die Produktionskapazität bewegt sich in einem sechsstelligen Bereich, auch wenn konkrete Zahlen nicht offiziell bestätigt werden. Aktuell steht der Produktionsstart des neuen CLA im Fokus. Mit einem Markteinführungsvolumen begann die Serienfertigung, und inzwischen werden Batterien im dreistelligen Bereich ausgeliefert. Die Logistik ist dabei ebenso effizient wie direkt: Vom Werk aus gelangen die fertigen Batterien ohne Zwischenlagerung auf dem schnellsten Weg nach Rastatt – oft innerhalb eines Tages.

Ein Blick zurück in die Anfangsjahre des Unternehmens spiegelt gleichzeitig die Ursprünge der Elektro-Produktion in Deutschland wider. Gegründet im Jahr 2009 montiert die Accumotive seit 2012 Batterien für Fahrzeuge des Mercedes-Benz Konzerns. Arbeitete das Unternehmen zu Beginn noch mit dem benachbarten Schwesterunternehmen Li-Tec Battery im Zellbau zusammen, stammen die Module für die aktuelle Batterie heute von Zulieferern – unter anderem von CATL aus dem Werk in Ungarn.

Sascha Kleinert (links) zeigte uns das Herzstück des neuen Mercedes CLA.
Sascha Kleinert (links) zeigte uns das Herzstück des neuen Mercedes CLA.

Geleitet wird das Werk seit dem 1. Dezember 2023 von Sascha Kleinert, der auf eine lange Mercedes-Laufbahn zurückblickt. Seine Karriere begann 1998 als Produktionsmitarbeiter in der Gießerei in Stuttgart. Über Stationen im Anlaufmanagement und Lean Management, wo er maßgeblich zur Einführung effizienter Prozesse beitrug, führte ihn sein Weg in verschiedene Führungspositionen – unter anderem als Leiter der Getriebemontage in Hedelfingen, als Verantwortlicher für das Launch Management im chinesischen Kooperations-Motorenwerk BBAC sowie als Leiter der Batterieproduktion in Kamenz. Mit seiner langjährigen Erfahrung in Strategie, Produktion und internationalem Management prägt er nun als CEO die Zukunft eines der wichtigsten Standorte für Elektromobilität in Deutschland.

Herr Kleinert, die Batterie, die Sie hier nun bauen, soll für Mercedes-Benz den Durchbruch bringen. Können Sie etwas zum Aufbau und zum Differenzierungsfaktor sagen?
Die technischen Spezifikationen sprechen für sich: bis zu 792 Kilometer Reichweite nach WLTP und eine Ladung von bis zu 325 Kilometern in 10 Minuten unter Nutzung der maximalen DC-Ladeleistung. Das ist ein Novum. Möglich wird das durch die Energiedichte der Blöcke und durch das Gewichtsmanagement. Die Batterie wiegt unter 500 Kilogramm und ist damit deutlich leichter als bisherige Batteriegenerationen. Das liegt auch an den neuen Produktionstechnologien, die wir hier in Kamenz einsetzen. Anstatt die Module zu verschrauben, werden sie in dieser Batteriegeneration hochpräzise verklebt – mit Hilfe von Digitalisierung beziehungsweise Künstlicher Intelligenz.

Künstliche Intelligenz ist das große Thema unserer Zeit – auch in der Automobilproduktion.
Wie genau wird sie hier eingesetzt?

In der Klebestation analysiert ein KI-System das Gehäuseunterteil, erkennt das Relief und berechnet Menge und Position des Wärmeleitklebers – alles KI-basiert. Eine klassische Steuerung könnte das weder in der Geschwindigkeit noch in der Genauigkeit leisten. Außerdem sind wir in das digitale Ökosystem der Mercedes-Benz Produktion M360 eingebunden: Jede Schraubverbindung wird mit Drehmoment, Geschwindigkeit, Winkel usw. dokumentiert. Jede Steckverbindung wird erfasst, gespeichert, überwacht – damit keine fehlerhafte Batterie auch nur einen Schritt weiterkommt. Auch das ist KI-gestützt. Qualität auf 100 % ist unser Ziel – und das ist nur mit dieser Rechnerwelt erreichbar.

Wird diese neue Technologie auch für kommende Modelle ausgerollt?
Der neue CLA ist das erste Modell mit der neuen Batteriegeneration. Beim nächsten Modell, dem vollelektrischen GLC, der auf der IAA im September vorgestellt wird, wird eine sehr ähnliche Batterie verbaut – äußerlich identisch, technisch eine leicht andere Variante. Diese Batterie läuft ebenfalls hier in Kamenz vom Band.

Und es folgen dann weitere Fahrzeuge?
Das System ist modular – wir sind nicht mehr an ein bestimmtes Fahrzeug oder eine Karosse gebunden, sondern flexibel. Aktuell bauen wir aber nicht nur Batterien für den CLA, sondern auch für EQA und EQB. Die Batterien laufen allerdings auf getrennten Linien. Die CLA-Batterie läuft auf einer separaten Linie, die Batterie für den EQA und EQB auf einer anderen.

Welchen Stellenwert hat dieser Standort für die Region – mitten in Sachsen, mitten in Ostdeutschland?
Das Werk hat enorme Strahlkraft. Wir sind mit Abstand der größte Arbeitgeber in der Region mit rund 1.000 tarifgebundenen Arbeitsplätzen. Wir sind attraktiv, technologisch ganz vorne. Batteriebau ist aus meiner Sicht aus der Fahrzeugwelt nicht mehr wegzudenken. Das ist der Weg in die Zukunft und ein anspruchsvolles Produkt. Gerade in einer eher strukturschwächeren Region wie dieser ist das wichtig.

Lassen Sie uns noch mal über Ihre persönliche Historie sprechen. Sie haben viele Stationen im Automobilbau durchlaufen – Gießerei, andere Anläufe aus dem verbrennungsmotorischen Bereich. Jetzt Batteriemontage, das wohl zukunftsträchtigste Gewerk. Was konnten Sie aus Ihrer bisherigen Erfahrung mitnehmen?
Ich bin seit etwa anderthalb Jahren Standortleiter in Kamenz. Davor war ich hier unter anderem als Produktionsleiter tätig. Seit 2019 beschäftige ich mich im Grunde durchgängig mit Batterien. Davor war mein Fokus im Verbrenner zu finden. Ich habe damals in der Gießerei angefangen und dort 10 Jahre gearbeitet – eine prägende Zeit für mich. Grundsätzlich lernst Du in jedem Gewerk: Anlauf, Qualität, Standard. Alles produktspezifisch etwas unterschiedlich, aber dennoch irgendwie gleich. Mit dem Mercedes-Benz-Produktionssystem sind wir in Sachen Standardisierung sehr gut aufgestellt – das lässt sich eins zu eins auf Batterien übertragen.

Das Produkt verändert sich teilweise noch während des Anlaufs.

Sascha Kleinert

Einblick in die Mercedes-Benz CLA-Batterie ProduktionInsight Production Mercedes-Benz CLA Battery
Kleinert zeigt Sachsens Ministerpräsident und Mercedes' Produktionsvorstand sein Werk.

Was ist bei Batterien anders?
Ich würde sagen, die Dynamik aufgrund der hohen Innovationszyklen. Das Produkt verändert sich teilweise noch während des Anlaufs. Alles ist etwas komprimierter, als ich das vom Verbrenner kannte. Ein Anlauf ist für Produzenten natürlich immer die stressigste Zeit: Die ganze Welt schaut auf dich, deine KPIs sind komplett transparent. Du brauchst Struktur und einen gewissen Hang zum Wettkampf – aber auch Flexibilität. Bei Batterien ist das nochmal intensiver.

Sie waren auch im Lean Management tätig. Welche Rolle spielt das in der Batterieproduktion?
Eine zentrale. Lean Management ist Teil unseres Produktionssystems – es geht darum sich immer wieder zu optimieren, effizienter und schneller zu werden. Ergonomie spielt eine große Rolle: Wie greift der Mitarbeiter? Wie platzieren wir die Batterie? Wo hängt der Schrauber? Es geht um Wertschöpfung und die Eliminierung von Verschwendung aber auch darum, wie wir Problemlöseprozesse leben. Gerade bei einem Produkt, das neu ist – und das vorher niemand gebaut hat – ist das ein riesiges Feld. Du kommst automatisch an viele Prozesse, die du gestalten kannst. Die Kunst ist, der Mannschaft den Blick dafür zu vermitteln. Dann wissen sie sehr genau, was gut und was sehr gut ist.

Wie ist die Struktur im Batteriemontagewerk aufgebaut? Welche Hierarchieebenen gibt es?
Hier in Kamenz haben wir etwa 1.000 Mitarbeitende plus Dienstleister – besonders in Logistik und Technik. Insgesamt sind wir eher flach organisiert. Wir haben Abteilungsleiter für Bereiche wie Engineering, Produktion, Logistik und Qualität. Sie arbeiten eng mit Teamleitern zusammen, die meist eine Produktionslinie betreuen. Vor Ort führen Meister gemeinsam mit den Vorarbeitern – so genannten Systemführern – Gruppen von Produktionsmitarbeitern. Diese haben viel Know-how, koordinieren fachlich. Je nach Technologie kommen dann spezialisierte Maschinenbediener hinzu – der eine fürs Kleben, der andere für Verschraubung. So reichern wir das Team gezielt an.

Das Werk wurde als Leitwerk und Kompetenzzentrum bezeichnet. Welche weiteren Werke im Produktionsnetzwerk von Mercedes montieren Batterien und wie läuft der Austausch zwischen diesen?
Mercedes-Benz hat einen Verbund von Batteriefabriken auf drei Kontinenten: In Asien – Thailand und China –, in den USA – Bibb County nahe dem Fahrzeugwerk Tuscaloosa und in Europa – und andere in Deutschland, in Untertürkheim beziehungsweise den Werkteilen Hedelfingen und Brühl, und zukünftig auch im ungarischen Kecskemét. Der Austausch zwischen diesen Standorten ist sehr eng – fast familiär. Es gibt einen standardisierten Austausch, man hilft sich gegenseitig. Als Kompetenzzentrum sind wir nicht zuletzt im Zuge von Anläufen oft gefragt – wenn es irgendwo „klemmt“ oder knifflig wird, helfen wir, notfalls auch vor Ort. Unser Team baut seit 2012 Batterien, wir haben das Know-how – diese Erfahrung hast du nicht überall gleichermaßen.

Gerade bei dieser neuen Batterie haben Sie ihr als erstes den Weg bereitet, oder?
Ja, aber es ist keine Einbahnstraße. Diese Batteriegeneration rollen wir in unseren Verbund aus – nach China, Stuttgart und auch nach Kecskemét in Ungarn. Ich dachte anfangs, ich bringe das Wissen mit – wurde aber eines Besseren belehrt. Wir lernen viel voneinander. Das Netzwerk ist familiär, der Austausch funktioniert. Du triffst zudem immer mal wieder dieselben Leute – auf jedem Kontinent. Das Know-how ist im Netzwerk da.

Lassen Sie uns noch einmal über Ihren persönlichen Führungsstil sprechen. Sie haben erzählt, dass Ihre Zeit am Band Sie geprägt hat. Was ist Ihnen als Werkleiter besonders wichtig?

Mir ist das Miteinander wichtig. Und die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden, die tagtäglich im Werk arbeiten – schrauben, stecken, kleben – acht Stunden lang. Das ist kein leichter Job. Deshalb: Respekt, Zuhören und die Nähe zur Mannschaft bewahren. Ich bin oft an der Linie, arbeite auch mal mit, um den Kontakt zu halten und etwas Neues zu lernen. Wir haben ein Shopfloor-System mit sehr flacher Kommunikation. Jeder kann mit Problemen zu mir kommen – oder zum Abteilungsleiter, ganz egal. Diese offene Fehlerkultur und Speak-up-Kultur leben wir.

Das klingt nach einem Führungsverständnis, das nicht überall selbstverständlich ist.
Es ist vielleicht manchmal unbequem. Wer will schon den kritischen oder gar schimpfenden Mitarbeitenden vor der Tür? Aber aus dem Dialog entstehen sehr gute Lösungen. Dafür stehe ich. Sachsen hat zudem eine recht direkte Kultur – was nicht gut läuft, erfährt man teils auch ungefragt. Ich stelle die Kolleginnen und Kollegen der Produktion ins Zentrum. Das macht unsere Kultur aus.