Hungary map with flag

Ungarn ist ein Autoland, in dem bislang vor allem Autos mit konventionellen Antrieben gefertigt wurden - das könnte sich bald ändern. (Bild: Mercedes-Benz / Adobe Stock, Miceking)

„Ungarn eignet sich auch als E-Standort“, glaubt Frank Schwope im Gespräch mit Automobil Produktion. „Die Werke der deutschen Hersteller in Ungarn liefern einen ordentlichen Beitrag zu den Geschäften der Unternehmen und haben sich dort etabliert.“ So bewertet der Lehrbeauftragte der Fachhochschule des Mittelstands Hannover (FHM Hannover) die aktuelle Entwicklung in Ungarn – einem der klassischen Produktionsländer in Europa. Auch dieser Standort stellt gerade seine Herstellung auf die E-Mobilität um, damit die EU-Ziele erreicht werden, die die Abschaffung der Neuwagenproduktion von Verbrennern ab 2035 vorsehen.

Hier agieren Audi, Mercedes und nun auch verstärkt BMW, die Werke unterhalten beziehungsweise planen. Darüber hinaus sind in Ungarn auch andere deutsche Investoren wie die Telekom aktiv, die in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt ein Kapital von 19 Milliarden Euro ins Land gesteckt haben. Damit drücken die Deutschen dem Markt ihren Stempel auf. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes lag 2023 bei rund 305 Milliarden Euro.

Was hat BMW in Ungarn vor?

Derzeit befindet sich BMW im Fokus, das ab 2025 in Debrecen mit der Produktion der E-Fahrzeuge Neuen Klasse beginnen will. Die Stadt gilt als Industriezentrum und ist die größte im Osten des Landes. Hier sollen 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden, die pro Jahr 150.000 Fahrzeuge herstellen sollen. Die Investitionssumme: zwei Milliarden Euro. Das Werk ist als iFactory konzipiert, in der unter anderem künstliche Intelligenz für eine effizientere Produktion sorgen soll. Zudem soll die Energie größtenteils auf dem Dach mit Photovoltaik erzeugt werden.

Das Kommunikationszentrum, das so aussieht wie der Hauptsitz des Herstellers in Leipzig, wurde bereits im Januar dieses Jahres eingeweiht. „Der gesamte Bau befindet sich in der Endphase“, berichtet das einheimische Portal Világ Gazdaság Anfang Juni. Zum Vergleich: Die Gesamtproduktion des Landes lag 2023 laut Wirtschaftsdienst CEIC Data bei mehr als 500.000 Wagen. Damit würde das neue BMW-Werk seinen spürbaren Abdruck auf den Gesamtvolumina hinterlassen und damit Ungarn klar in die Richtung eines E-Standortes lenken. Darüber hinaus produziert Audi in Györ in Westungarn pro Jahr rund 170.000 Fahrzeuge, beispielsweise den Audi Q3. Dieser läuft als Verbrenner-Version, aber auch mit Plugin-Antrieb vom Band.

Welche Projekte sind bei Mercedes in Ungarn wichtig?

Mercedes stellt in Kecskemét im Zentrum des Landes etwa 175.000 Fahrzeuge her, unter anderem die A-Klasse. Hier stehen die Fertigungslinien für Elektroautos im Montage- und Karosseriewerk im Blickpunkt. Es geht um die Plattform MMA (Mercedes Modular Architecture). Ab dem kommenden Jahr sollen rein elektrische Modelle der Plattform MB.EA (Mercedes-Benz Electric Architecture) entstehen.

Die Gründe für die Investition durch die Deutschen liegen auf der Hand – und zwar die relativ günstige Nähe zu Deutschland und die verhältnismäßig geringen Arbeitskosten. Die Infrastruktur ist zudem komfortabel ausgebaut. Diese Faktorenkombination gibt es in allen Ländern der Region. Ungarn verfügt über eine Fläche, die ungefähr einem Viertel von Deutschland entspricht. Das Autobahnnetz von 1.700 Kilometern ist verhältnismäßig besser ausgebaut als beim direkten Konkurrenten Polen. Denn der Mitbewerber um Investoren betreibt zwar ein Netz mit einer ähnlich hohen Kilometerzahl, doch ist das Land fast viermal so groß.

So wehrt sich Budapest im ewigen Konflikt mit der EU

Ein Problem ist der ständige Streit mit der EU über die Einhaltung der Grundprinzipien, beispielsweise der Pressefreiheit und der Grundrechte. „Die Vorwürfe sind unbegründet“, sagt Wirtschaftsminister Márton Nagy. „Ungarn ist eine Demokratie, wo den Investoren Rechtssicherheit, verlässliche wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen und ein sehr wettbewerbsfähiges Steuersystem zur Verfügung stehen“, so das Regierungsmitglied. Investitionen in Ungarn seien lukrativ, weil die Rendite auf direkte Kapitalanlagen bei neun Prozent läge. Damit gehört das Land seinen Aussagen zufolge zu den zehn attraktivsten Standorten weltweit.

Vor vier Wochen hat der Minister in Bayern Vertreter aus den Führungsriegen der deutschen Konzerne BMW, Audi und Mercedes getroffen, um über die gemeinsamen Geschäfte zu beraten. Die deutschen Manager, die sich zu den EU-Vorwürfen nicht äußerten, waren jedenfalls von der Profitabilität des Standortes überzeugt. Deshalb sind die deutschen Unternehmen der größte Außenhandelspartner. Davon wiederum hat Bayern durch Audi und BMW den höchsten Anteil.

Sind Arbeitskosten in Ungarn wirklich ein Vorteil?

Dieser Faktor stützt sich im Wesentlichen auf die Arbeitskosten. Mittlerweile sind diese in zwar immer noch wesentlich günstiger als in Deutschland. Doch so wirklich niedrig sind sie bei vielen Berufen auch nicht mehr: Ein Fabrikleiter verdient pro Monat durchschnittlich drei Millionen Forint oder 7.600 Euro brutto, wie aus Statistiken der internationalen Beratung James Reed CBE hervorgeht. Der Produktionsleiter kann im Durchschnitt mit 2,2 Millionen Forint oder 5.500 Euro brutto rechnen, während der Qualitätsingenieur in der Rangliste der Gehälter für die höheren Posten in der Fabrik ganz hinten rangiert. Für ihn zahlt eine ungarische Firma im Durchschnitt 825.000 Forint, also etwa 2.100 Euro.

Zum Vergleich: Ein Werksleiter in Deutschland verdient auch schon 10.000 Euro. Beim Qualitätsingenieur zahlen die Firmen hingegen nur knapp 40 Prozent des westlichen Gehalts. Manchmal sind die Unterschiede noch groß, manchmal weniger. Der Fabrikarbeiter erhält durchschnittlich 536.250 Forint oder 1.400 Euro und ist somit noch wesentlich günstiger.

Wichtig ist zudem, dass Ungarn auch auf chinesische Unterstützung setzt. „Wir beobachten die Entwicklung von Nio Europe sehr genau“, sagt Wirtschaftsminister Nagy über den asiatischen Autobauer. Das Unternehmen hat 2022 in Biatorbagy, einer Stadt 20 Kilometer von Budapest, eine E-Batteriefabrik für den europäischen Markt errichtet.

So versucht sich Ungarn weiter in Richtung E-Standort zu entwickeln wie andere Länder auch. Doch vielleicht brauchen die Hersteller gar keine großen Anstrengungen unternehmen, um ihre Produktion rasch auf 'grün' umzustellen. Denn der Green Deal der EU ist noch lange nicht umgesetzt. Zuletzt gab es nach wieder in Politik und Wirtschaft Widerstand dagegen, weil nicht klar sei, ob das Verbrenner-Aus praktisch überhaupt umsetzbar sei. Auch Frank Schwope von der FHM Hannover sieht das so: „Der Verbrenner ist noch lange nicht abgeschrieben. Wir werden vielleicht eine vorübergehende Renaissance dieser Antriebsart sehen – der Termin für deren Ende in Europa im Jahr 2035 scheint wieder fraglich.“

Sie möchten gerne weiterlesen?