In Polen beschäftigt seit Monaten die Unternehmen und Branchenvertreter nur eine einzige Frage – und die ist für das gesamte Land von riesiger Bedeutung: Es geht um die Zukunft der Produktion des Izera – des ersten E-Autos, das je in Polen hergestellt worden ist. Das Problem: Die Finanzierung des prestigeträchtigen Projektes, das die Vorgänger-Regierung 2016 in die Wege geleitet hatte, ist unklar.
Doch hat jetzt die neue politische Führungsriege hier Entwarnung gegeben – und das nach einem halben Jahr: „Die Entscheidungen der Regierung werden in ein paar Wochen nach einer internen Überprüfung von ElectroMobility Poland (EMP) fallen“, sagte der Minister für Staatsvermögen Borys Budka dem einheimischen TV-Sender Polsat News. EMP ist die Gesellschaft, die das Projekt umsetzt und sich im Eigentum des Ministeriums befindet.
So wie es jetzt aussieht, wird das Projekt per Darlehen finanziert und nicht mehr wie bisher per direkter finanzieller Zuwendung. Das Geld soll aus dem EU-Topf stammen, den Brüssel bislang wegen der europafeindlichen Politik der Vorgängerregierung blockiert, jetzt aber wieder freigegeben hatte. Dort sind für Projekte ohne Emission insgesamt 1,2 Milliarden Euro vorgesehen. Nutzt Polen diese Mittel für diesen Zweck nicht, dann zerfallen sie.
Was bewirkt Polens erstes E-Auto für den Markt?
Entsprechend groß ist der Druck, sie in Anspruch zu nehmen. Und gerade für dieses Prestigeprojekt scheinen die Mittel sehr geeignet zu sein. Am vorgesehenen Standort in Schlesien sollen rund 3.000 Mitarbeiter beschäftigt werden. Bei voller Auslastung verfügt das Werk über eine Kapazität von 300.000.
Zum Vergleich: In Polen wurden 2023 insgesamt 612.000 Fahrzeuge hergestellt, und zwar in großer Überzahl Verbrenner. Folglich würde das neue E-Werk dem Markt eine völlig andere Richtung geben. Die Plattform für den Bau stellt der chinesische Hersteller Geely bereit. Mitte 2026 soll jetzt die Produktion starten – eine große Verspätung, weil in jenem Jahr ursprünglich schon der Verkauf beginnen sollte.
Dieses Projekt steht im Zentrum einer Kampagne des Landes, das die E-Mobilität nach vorne treiben soll. Die Regierung, der Branchenverband PZPM, aber auch unterschiedliche Fachagenturen beobachten jeden kleinen Fortschritt dabei und versuchen, wo es eben nur geht, dafür PR zu machen. Polen verfolgt eine sehr ambitionierte und offensive E-Strategie. Und das, obwohl das Land überhaupt kein Standort für E-Mobilität ist. In der EU liegt es statistisch immer ganz weit hinten.
Das ist Polens Autoindustrie:
Polen verfügte im Februar 2024 über 104.700 Fahrzeuge mit E-Antrieb und mehr als 6.000 Ladepunkte. Das geht aus den Statistiken der Branchenvereinigung PZPM hervor. Insgesamt notiert man 24,3 Millionen Fahrzeuge. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund eine Million E-Wagen bei einem Bestand von 49 Millionen. Dazu bietet das Land mehr als 100.000 Ladepunkte an. Grundsätzlich ist Polen die verlängerte Werkbank der deutschen Autobranche, die dort einen sehr bedeutenden Teil seiner Autoteile produzieren lässt, um sie zuhause in die Fahrzeuge einzubauen. Wichtige Gründe: Die räumliche Nähe bei relativen geringen Arbeitskosten. Zudem werden hier unterschiedliche Modelle der internationalen Hersteller gebaut, beispielsweise von VW in Posen. Die Branche ist ein wichtiger Treiber des deutsch-polnischen Wirtschaftsaustausches.
Welche Elektroprojekte hat Volkswagen in Polen?
Das größte Werk Polens mit 9.500 Mitarbeitern und einem Marktanteil von 40 Prozent betreibt VW und liegt in Posen. Hier sieht man auch schon, wie die Hebel Richtung E-Mobilität umgelegt worden sind. So unterhält der Konzern hier vier Fabriken und eine Gießerei, die künftig Aluminiumteile für E-Autos produzieren soll. Der Caddy und der Transporter werden in Antoninek hergestellt, wo in der zweiten Hälfte 2024 die Produktion des Hybridmodells Caddy PHEV anlaufen soll. In der dritten Fabrik in Wreschen wird den Planungen eine neue Version des VW Crafter an Markt gebracht. Zu den Änderungen gehören das Aussehen des Cockpits oder neue Fahrerassistenzsysteme. Gleichzeitig wird die Produktion des Transporters T6.1 wie geplant Mitte des Jahres enden. „In diesem Jahr werden wir nicht nur neue Modelle in die Produktion einführen, sondern auch eine Photovoltaikanlage in Betrieb nehmen, deren Energie bis zu 20 Prozent unseres Strombedarfs in unserem Werk in Wreschen decken wird", erklärte Stefanie Hegels.
Für Gesprächsstoff am Markt hat die Entscheidung des Unternehmens gesorgt, künftig den Überhang der Produktion der alten Verbrenner-Version des Golf aus Wolfsburg ab 2027 hier bauen zu lassen. Schon Mitte 2024 werden dafür die Vorbereitungen getroffen, prognostiziert das Unternehmen. VW setzt hier Hunderte von Robotern ein. In allen Produktionsbereichen wurde das CTSS Tool System eingeführt, um alle automatischen Aktivitäten zu überwachen und aus Prozessfehlern zu lernen .
Für Stellantis ist Polen eine Verbrenner-Bastion
Der zweitgrößte Standort Polens mit einem Marktanteil von 38 Prozent ist das Werk von Fiat im schlesischen Tychy, das zu Stellantis gehört. Grundsätzlich bestimmt hier noch der Verbrenner die Szenerie, weil nach wie vor die alten Versionen des Jeep, des Fiat 500 und Lancia Ypsilon hergestellt werden. Die Produktion der beiden letzteren soll allerdings bis Jahresende eingestellt werden. Dafür wird hier künftig der Stadt-SUV Alfa Romeo Milano vom Band laufen. Doch auch in Tychy stehen die Weichen auf E-Mobilität. So wird seit Jahresanfang ebenso der Fiat 600e gebaut. Medienspekulationen, dass Stellantis künftig hier das Modell Leapmotor seiner chinesischen Partner herstellt, bestätigte das Unternehmen nicht.
Der Standort hat 2023 seine Produktion im Vergleich zum Vorjahr um die Hälfte auf 235.000 Fahrzeuge erhöht – und erreichte so langsam wieder das Niveau aus der Zeit von vor der Pandemie. Zu den am stärksten robotisierten Bereichen des Werks gehört die Schweißerei. Die Mitarbeiter sind für die Überwachung der Roboter verantwortlich. Auch die Lackiererei ist zu mehr als 90 Prozent robotisiert. Fiat hat mittlerweile in Schlesien dem lokalen Konkurrenten Opel, der in Gleiwitz ein Werk unterhält, den Rang abgelaufen, seitdem der Mitbewerber 2021 die Produktion von Pkw aufgegeben hat.
Wie Mercedes Polen seinen Stempel aufdrückt
Auch Mercedes treibt die E-Mobilität voran: Der Autobauer wird im niederschlesischen Jawor ein Werk für den Bau von E-Lieferfahrzeugen bauen. Die Investitionssumme: Mehr als eine Milliarde Euro. Es sollen 1.500 Arbeitsplätze entstehen. Sie soll emissionsneutral sein, indem beispielsweise Wärmepumpen eingesetzt werden. Das Unternehmen stellt bereits seit 2019 dort E-Motoren- und Batterien her.
Wie wichtig der Gesamtkonzern Polen bei der Umsetzung seiner Strategie nimmt, bis 2039 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge herzustellen, wird auch daran deutlich, dass dies die erste Autofabrik des Konzerns überhaupt in Polen ist.
„Diese Investition kann zu den bedeutendsten in der Geschichte unserer Region gezählt werden. Dank ihr wird Jawor in Niederschlesien zu einem wichtigen Standort im Produktionsnetzwerk von Mercedes-Benz in Europa“, unterstrich auch Piotr Wojtyczka, Vorstandsvorsitzender der Sonderwirtschaftszone Walbrzych. Dort wird die neue Fabrik errichtet.