2023 soll es stehen, das neue Zentrallabor von Schaeffler am Stammsitz in Herzogenaurach. Auf 15.000 Quadratmetern bündelt der Zulieferer insgesamt 15 Labore – Einrichtungen, die bereits heute existieren, die in Herzogenaurach aber physisch zusammengebracht werden sollen. „Die Idee hinter dem Zentrallabor ist es, unsere Kernkompetenzen zu bündeln und damit für Synergien und Geschwindigkeit zu sorgen“, erklärt Schaeffler-Produktionsvorstand Andreas Schick im Gespräch mit Automobil Produktion.
Kernkompetenzen wie Materialverständnis, Oberflächentechnik oder Messtechnik sollen am Stammsitz deutlich stärker Hand in Hand zum Tragen kommen. Um zu verstehen, warum das nötig ist, muss der geneigte Branchenbeobachter einen Blick auf die Entwicklung des Marktes und damit auch von Schaeffler zu werfen. Denn der allgemeine Trend hin zum batterieelektrischen Antrieb transformiert selbstverständlich auch die Zulieferindustrie. Schaeffler entwickelt sich gerade vom Komponentenhersteller zum Systemlieferanten. Und in eben diesen Systemen gebe es „Wechselwirkungen und weitere Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen“, sagt Schick.
Warum Schaeffler auf E-Mobilität setzt
Die Transformation eines Tier-1-Zulieferers wie Schaeffler scheint derzeit alternativlos. Die globale Automobilproduktion ging 2020 um 16 Prozent zurück. Das bekam freilich auch Schaeffler zu spüren: Die Sparte Automotive Technologies musste einen Umsatzrückgang um 11,6 Prozent auf 7,8 Milliarden Euro verbuchen.
Lichtblick ist die besagte Elektromobilität: Mit einem Auftragseingangsvolumen von 2,7 Milliarden Euro lag der Unternehmensbereich deutlich über den anvisierten 1,5 bis zwei Milliarden. „Wir sind von der E-Mobilität überzeugt und werden unsere Anteile liefern“, sagt Schick. Die E-Motorenfertigung steht in den Startlöchern. Sie ist ein perfektes Beispiel für den Weg von der Komponente ins System. „Ein Elektromotor ist letztlich nichts anderes als ein komplexes feinmechanisches Produkt, in dem auch sehr viele präzise Stanzteile – Bleche mit einer Dicke von 0,27 Millimetern – gestapelt und mit Wicklungen umgeben werden.“ Schick sieht seinen Konzern bestens gerüstet, auf Basis der eigenen tiefen Materialexpertise ein gewichtiges Wort im Markt für E-Antriebe mitreden zu können.
Natürlich denkt ein Produktionsvorstand noch über Verbesserungspotenzial nach: „Wir fragen uns schon, was notwendig ist, um noch dünnere Bleche fertigen zu können. Damit könnten wir die Effizienz und Leistungsgrade eines E-Motors weiter erhöhen“, erklärt Schick. Das sei für Schaeffler ein typischer Kreislauf: Ein Produkt wird den Kundenforderungen entsprechend optimal entwickelt. „Und wir überlegen uns immer: Wie können wir das Produkt bestmöglich fertigen?“, so Schick. Und letztlich fließen die Erfahrungen aus der Fertigung zurück in die Weiterentwicklung des Produkts. Daher verstärkt Schaeffler des Austausch zwischen Produktentwicklern und Fertigungstechnologen.
Und in diesem Kreislauf ist Schaeffler nicht auf Dritte angewiesen. Mit den drei Säulen Produkttechnologie, Produktionsprozesse sowie Werkzeug- und Sondermaschinenbau könne das Unternehmen alles selbst abbilden, was es zur Entwicklung, Weiterentwicklung und Fertigung neuer Produkte brauche, so Schick.
Elektronik und Digitalisierung werden wichtiger
Um Entwicklungen wie diese schneller und effizienter umsetzen zu können, ist letztlich ein zentraler Standort für solch wichtige Zukunftsfragen nötig – und um entsprechende Ergebnisse bereichsübergreifend nutzen können. Beispiel E-Motoren: Die für Fahrzeuge entwickelten Bauteile werden ebenso für Roboter in der Industriesparte relevant. Dafür sei die gemeinsame Arbeit an einem zentralen Forschungs- und Entwicklungsstandort unerlässlich. „Wir bringen die Leute physisch zusammen, die letztlich gemeinsam an einem Produkt oder einer Technologie arbeiten.“
Fast 400 Mitarbeiter kommen im neuen Zentrallabor zusammen – größtenteils bestehendes Personal, aber auch neue Mitarbeiter möchte Schick nicht ausschließen. Wichtiger sei jedoch die Qualifikation des Teams für neue Inhalte und Produkte. „Denken Sie nur mal an veränderte Materialien im Einsatz von Elektrolyseuren oder Brennstoffzellen: Dort beschäftigen wir uns zum Beispiel mit neuen Dichtungen“, erklärt Schick.
Oder mit neuen Anforderungen an Elektronik. Ein eigenes Labor wird sich in Herzogenaurach dem immer wichtiger werdenden Thema annehmen. „Das wird überproportional schnell zu den anderen Laboren wachsen. Wir entwickeln uns Schritt für Schritt stärker in diese Richtung.“ Zwar arbeitet Schaeffler auch heute bereits an Elektronik rund um die eigenen Kernprodukte. Leistungselektronik allerdings entwickele der Zulieferer noch nicht komplett selbst, sagt Schick.
Letztlich sieht Schaeffler eine besondere Chance und Beschleunigung darin, das Thema Daten und Digitalisierung auf ein höheres Level zu bringen. „Das ist in den einzelnen Forschungsfeldern entscheidend, weil wir durch Daten und ihre Analyse deutlich schneller forschen und uns untereinander besser vernetzen können“, findet der Produktionschef. Und genau das steht im Zentrallabor schließlich auf der Agenda.