Irgendwann gibt es den Punkt, da gibt es kein Zurück mehr. Dieses Phänomen ist so alt wie die Menschheit. "Dass, wollt' ich nun im Waten stille stehn, Rückkehr so schwierig wär', als durch zu gehen", sagt Shakespeares Macbeth. Was dieses weltberühmte Zitat mit VW zu tun hat? Der Wolfsburger Autobauer setzt alles auf die Karte Elektromobilität und investiert riesige Summen. Allein bis 2025 fließen 35 Milliarden Euro in neue E-Autos und die Umrüstung der bestehenden Produktionsstätten. Die Transformation hat bereits begonnen, VW kann nicht mehr zurück und wenn die Elektromobilität nicht den erhofften Durchbruch erlebt, droht ein Desaster.
Eines hat sich aber nicht geändert: Für die Wolfsburger zählt nur die Nummer eins. So ist es bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, so soll es bei den Stromern sein. Die Vorgaben für die nächsten Jahre stammen noch vom ehemaligen Markenchef Herbert Diess, sein Nachfolger Ralf Brandstätter muss diese jetzt umsetzen, ob er will oder nicht. Der neue VW-Markenchef hat seine Vision, wie der niedersächsische Autobauer den Platz an der Sonne erreichen will, in eine neue Strategie gepackt. Der Name lautet "Accelerate", zu deutsch beschleunigen. Interessante Wortwahl: Wenn man beschleunigen will, ist man mit dem Status Quo nicht zufrieden. Dabei verkaufte sich der ID.3 im vergangenen Jahr mit 14.493 Einheiten ganz ordentlich, nur bei der Software läuft es noch nicht immer rund.
"Volkswagen wird die begehrenswerteste Marke bei nachhaltiger Mobilität", gibt sich Ralf Brandstätter zuversichtlich. Bis 2030 soll der Absatz reinrassiger Stromer in Europa auf über 70 Prozent steigen, das sind doppelt so viele wie aktuell, während es in China und den USA mehr als 50 Prozent sein sollen. Verwegene Zahlen, ob Europa in neun Jahren zum Elektro-Kontinent mutiert, bleibt abzuwarten. Die VW-Offensive ist im vollen Gange: Im März wird der VW ID.4 auf den Markt kommen, das als ID.Crozz bekannt gewordene SUV-Coupé ID.5 soll ebenfalls noch dieses Jahr erscheinen, genauso wie das große siebensitzige SUV ID.6, das zunächst in China an den Start geht und nächstes Jahr auch nach Europa kommt. Dann wird auch der lang erwartete ID.Buzz Teil der Modellpalette sein. Im Jahr 2023 soll dann der Aero-B mit 700 Kilometern Reichweite die letzten Elektromobilitäts-Zweifler nach Wolfsburg locken. Ein kleines E-Einstiegsmodell soll 2025 das Modellportfolio ergänzen.
Das Auto wird ein softwarebasiertes Produkt
Für den VW-Markenchef ist aber eines klar. "Wenn Sie glauben, dass man mit E-Mobilität alleine in der Zukunft ankommt, liegen Sie falsch. Der echte Gamechanger ist Digitalisierung." Und die soll die ganze Marke und letztendlich den ganzen Konzern durchdringen. Das fängt bei der Produktion des Fahrzeugs an und hört bei der Generierung neuer Verdienstmöglichkeiten, beispielsweise durch das Nachordern weiterer Funktionen, die dann drahtlos auf das Auto gespielt werden, auf. Das Leuchtturm-Modell, das die neue VW-Welt repräsentieren soll, wird der Trinity sein. Erste Skizzen lassen eine elegante coupéhafte Linie erkennen. Doch wichtiger ist, was sich unter dem Blechkleid verbirgt. Schon beim Marktstart 2026 soll der Wagen autonomes Fahren des Levels 2+ beherrschen, später soll sogar Level 4 möglich sein. Das deckt sich mit einem weiteren Punkt der VW-Strategie, nach der bis 2030 das autonome Fahren für viele Menschen möglich sein wird. Der Trinity wird auf einer neuen Plattform stehen, die dann nach unten ausgerollt wird.
Was VW in großartige Worte packt und als "Businessmodel 2.0" verkauft, ist auch bei anderen Herstellern, wie etwa Tesla, auch geplant beziehungsweise wird bereits umgesetzt. Das Auto wird ein softwarebasiertes Produkt und so schafft Volkswagen die Voraussetzungen für neue, datenbasierte Geschäftsmodelle. Dementsprechend sprach Ralf Brandstätter schon nicht mehr vom Fahrer, sondern vom Nutzer, der vielleicht das Fahrzeug nur mietet und nicht besitzt. Durch das Sammeln der Daten erkennt VW, dass der Mensch immer öfter längere Strecken zurücklegt und bietet ihm dann beispielsweise drahtlose Upgrades an, die die Reichweite verlängern oder autonome Fahrfunktionen freischaltet. VW rechnet damit, dass mit diesem Geschäftszweig dreistellige Millionenbeträge erwirtschaftet werden können.
Die Marge soll steigen
Um diese Elemente für den Fahrer freigeben zu können, müssen sie erst einmal im Auto vorhanden sein. Das bedeutet, dass VW die Produktion komplett umkrempelt und die Prozesse digitalisiert. Damit sollen die Kosten massiv nach unten gedrückt werden. Die Anzahl der Varianten wird weiter reduziert; im Grunde wird man nur noch die Batteriegröße, die Reifen und die Lackfarbe sowie die des Innenraums wählen. "Einen VW zu bestellen wird so einfach wie bei einem Smartphone", verspricht Ralf Brandstätter. Auch die Aufwendungen für Logistik - beispielsweise durch vorgehaltene Materialien - werden sinken und möglichst viele Arbeitsschritte digital ablaufen. Das bedeutet, dass die Fix- und Materialkosten weiter zurückgehen, während die Produktivität um fünf Prozent jährlich steigt. Dass das zu einem Abbau an Arbeitsplätzen führen wird, lässt sich an einer Hand abzählen. Die Gespräche mit der Arbeitnehmerseite laufen bereits.
Die Profitabilität steht über allem. Gerade in dieser Disziplin war VW nicht immer der Klassenprimus. Die Accelerate-Strategie sieht vor, dass die operative Rendite ab 2023 mindestens sechs Prozent betragen soll. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, wird auch ein Kahlschlag vonnöten sein, der die aktuelle Produktpalette ausdünnt. Während Volumenmodelle wie der Golf und der Tiguan Nachfolger erhalten sollen, wird der Touran auslaufen und ob der eben erst aufgefrischte Arteon weiterleben darf, ist noch nicht entschieden.