So haben sich die Zeiten gewandelt: Einst stellte Ferdinand Piëch ein Geldstück hochkant auf einen Achtzylinder, um die Laufruhe des Triebwerks zu demonstrieren, jetzt präsentiert der niedersächsische Autobauer die Bilanz der Schäden, die durch Naturkatastrophen angerichtet wurden. Allein im Jahr 2020 waren es demnach 210 Milliarden Dollar. VW gibt alles, um als Vollblut-Umweltapostel zu gelten. "Wir bekennen uns zum Pariser Klimaabkommen, sagt VW-Baureihenleiter Elektromobilität Andreas Krüger. Das durchaus hehre Ziel ist für die Wolfsburger aber auch eine Flucht nach vorne. Schließlich haben sie sich voll der Elektromobilität verschrieben und investieren zunächst rund 35 Milliarden Euro.

Der Start verlief nicht immer ganz rund. Den ID.3 plagten Softwareprobleme, die die Techniker erst nach und nach in den Griff bekamen. Das ändert nichts daran, dass der MEB-Erstling sich mittlerweile wachsender Beliebtheit erfreut: Rund 103.000 Europäer haben sich aktuell den VW ID.3 und etwa 48.000 den ID.4 bestellt. "Jetzt fangt es langsam an, Spaß zu machen, jetzt geht es an die Kür", freut sich Krüger und gibt damit implizit auch zu, dass der Holper-Start des ID.3 nicht immer Anlass zu Feierlaune gegeben hat. Zuletzt haben die Wolfsburger den ID.4 GTX mit 220 kW / 220 PS vorgestellt, vorläufig die Leistungsspitze der Baureihe, analog zu den GTI-Modellen bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Doch das wird nicht so bleiben. "Wir brauchen weiter emotionale Produkte. Der GTX ist nicht das Ende der Fahnenstange, ich bin sicher, dass da was kommen wird", sagt VW-Technikchef Thomas Ulbrich. Gut möglich, dass die Power-Variante den Buchstaben R im Namen tragen wird. Sinn ergibt sie auf alle Fälle, da 220 kW / 290 PS keinen Elektromobilitäts-Agilitäts Fan hinter dem Ofen hervorlocken. "Fahrdynamik wird auch in der Zukunft ein wichtiges VW-Kriterium bleiben", macht Ulbrich klar.

Die VW-Modelloffensive geht indes weiter: Das sportliche Elektro-SUV Coupè ID.5 soll weitere Kunden locken. In China wird im Herbst dieses Jahres der geräumige ID.6 in den Schauräumen der Händler stehen. In Europa soll im Jahr 2024 mit dem Aero B ein Shooting Brake die Position des Wolfsburger Autobauers stärken, was dem Sympathieträger Elektrobulli (ID.Buzz) spätestens 2023 sicher gelingen wird. Ein ganz anderes Klientel spricht das "Small BEV" an, das VW als kompaktes Elektrofahrzeug sieht, das für etwa 25.000 Euro zu haben sein wird. Dieses Fahrzeug war ursprünglich für 2027 geplant und soll jetzt schon 2025 auf den Markt kommen. VW ist spät dran und spürt den Druck der Konkurrenz. Auch wenn für Ulbrich damit die "Preis-Wippe zwischen Verbrennern und Elektrofahrzeugen kippt" und die Niedersachsen mit dem kleinen Stromer seiner Ansicht nicht in Preisregionen vorstoßen, die aktuell bei Elektrofahrzeugen nur schwer möglich sind, schaffen andere wie Dacia mit dem E-Crossover Spring Electric, der für gut 20.000 Euro zu haben ist, schon jetzt Fakten. Um die kostenbewussten Elektromobilisten zu überzeugen, wird der E-Floh einiges an Reichweite und eine ausgereifte Technik bieten müssen.

Künftig bei E-Autos kein Ladenkarten-Dilemma mehr

Unter der Hülle soll ebenfalls einiges passieren, um VW auch in Zukunft konkurrenzfähig zu halten. Schließlich schläft die Konkurrenz nicht. "Der MEB ist im Moment noch zu konventionell", gibt Ulbrich zu. Einiges sollen drahtlose Updates richten. So peilt VW eine Ladeleistung von 250 kW an und bis spätestens Mitte des nächsten Jahres sollen die Elektromobile aus Wolfsburg auch bidirektionales Laden beherrschen, also Teil des Stromnetzes werden. Dann soll die Stromangst der Vergangenheit angehören. "Mit einem ausgetüftelten Batteriemanagement will VW der berechtigten Sorge, dass beim Laden und Entladen die Akkus altern, entgegenzuwirken. Außerdem soll mit Software-Updates auch die Reichweite verbessert werden.

Große Sprünge darf man sich davon aber nicht erwarten. Die kommen dann durch eine Verbesserung des MEB-Baukastens, die bis etwa Mitte des Jahrzehnts umgesetzt sein dürfte. Dann sollen Reichweiten bis zu 700 Kilometern möglich sein. Der VW Trinity wird im Jahr 2026 auf diesem MEB Evo basieren. Dann soll die Architektur einen wesentlich höheren Aluminiumanteil aufweisen, als das bisher der Fall ist und so deutlich leichter sein. Carbon spielt in den Planungen der Wolfsburger aktuell genauso wenig eine Rolle wie Wechselbatterien, wie sie etwa der chinesische Autobauer Nio verwendet. Doch Thomas Ulbrich ist um die Zukunft seiner Firma nicht bange. "Irgendwann muss man mit Elektroautos auch Geld verdienen", stichelt der Technikvorstand in Richtung der chinesischen Konkurrenz, fügt aber hinzu: "Wir wollen technologisch an der Spitze bleiben und dürfen nicht rasten, sonst fällt man in China zurück."

Der Schlüssel zu dieser Spitzenposition sind digitale Dienste und vor allem ein eigenes Betriebssystem (Operation System / OS). "Das OS ist das Rückgrat für die weitere Evolution von Autos, die Grundgenetik der eigenen Fahrzeuge zu ownen ist total wichtig", macht Ulbrich klar und wischt damit sämtliche Spekulationen VW könnte sich mit anderen Autobauern zusammenschließen, vom Tisch. Zugleich macht der VW-Vorstand auch allen Ladekarten-geplagten Elektroautofahrern Hoffnung: "Das wird sich in drei bis fünf Jahren auflösen."

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