Iveco setzt neue Standards in der Arbeitssicherheit
Das Iveco-Werk Valladolid erhält den ALP Award 2025 für sein digitales Smart-Safety-System, das Risiken in Echtzeit erkennt und Unfälle verhindert soll. KI, Kameratechnik und VR-Training machen die Arbeit im Werk sicherer.
Pablo Blanco auf der Bühne des ALP-Kongresses in Poznań.Stankiewicz
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Insbesondere auf Kongressbühnen werden verantwortliche Produktioner nicht müde, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Doch ein anderes Schlagwort rangiert auf der Prioritätenliste sicherlich ähnlich weit oben, auch wenn es nich derart häufig thematisiert wird: Arbeitssicherheit. Doch natürlich ist sie in allen Fabriken und Produktionssystemen ein zentraler Bestandteil. Im Iveco-Werk im spanischen Valladolid geht man jedoch noch einen Schritt weiter. Hier ist das Thema seit Jahren ein elementarer Pfeiler der gesamten Produktionskultur. Deshalb wurde der Standort 2025 mit dem Automotive Lean Production Award in der Kategorie Digital Use Case OEM: Smart Safety ausgezeichnet. Ausschlaggebend dafür ist ein digitaler Ansatz, der künstliche Intelligenz, Virtual-Reality-Trainings, mehrdimensionale Kamerasysteme und ein integriertes Sicherheitsmanagement miteinander verbindet. Das Werk gilt im Konzern längst als Referenzpunkt für gelebte Sicherheitskultur, doch mit der Einführung eines KI-gestützten Überwachungssystems gelang der Schritt in eine neue Entwicklungsstufe.
Sicherheitskultur ist über Jahre gereift
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Bereits seit 2007 gibt es im Werk täglich oder wöchentlich sogenannte SMAT-Audits , die von Teamleitern und Führungskräften durchgeführt werden. Deren Ziel ist es, nicht nur sichere Zustände zu dokumentieren, sondern vor allem jene unsicheren Handlungen und Bedingungen sichtbar zu machen, die in klassischen Unfallstatistiken kaum auftauchen, aber das eigentliche Risiko darstellen. Pablo Blanco, Operational Excellence Manager bei Iveco, beschrieb auf dem Kongress diese Herausforderung mit den Worten: „Die eigentliche Herausforderung besteht darin, all die unsicheren Handlungen und unsicheren Bedingungen zu erkennen, die zahlreich sind und unter der Wasseroberfläche liegen.“
Über die Jahre entstand daraus ein System, das Kompetenz, Verhalten, Aufmerksamkeit und Managementkultur gleichermaßen bewertet. Jede Beobachtung, jedes Gespräch und jede Abweichung wird dokumentiert und fließt in eine zentrale Datenbasis ein. Die Analyse folgt einem klaren Muster: Prozesse werden hinterfragt, Grundlagenwissen überprüft, Ursachen offengelegt. Ergänzend führt das Werk seit einigen Jahren Virtual-Reality-Trainings für Neueinsteiger durch, um Sicherheitsregeln und Risikoszenarien realitätsnah zu vermitteln. Dass dieser Ansatz Wirkung zeigt, belegt eine bemerkenswerte Zahl: Acht Jahre lang gab es in den Produktionsbereichen keinen einzigen Unfall. Dennoch zeigte ein Vorfall außerhalb des Werkgeländes vor zwei Jahren, dass externe Fahrer, unübersichtliche Verkehrsbereiche und nicht standardisierte Wege zusätzliche Risiken bargen. Dieser Moment wurde zum Auslöser für den nächsten großen Schritt.
Die Abladehalle als Modellgebiet für eine neue Sicherheitsarchitektur
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Mit der Abladehalle identifizierte Valladolid einen Bereich, der wie ein Brennglas für die sicherheitstechnische Komplexität einer modernen Fabrik wirkt. Dort treffen Gabelstapler, interne Mitarbeitende, externe Fahrer und hoher Fahrzeugdurchsatz in einem engen räumlichen Gefüge aufeinander. Allein die Anzahl von bis zu 48 ankommenden Fahrzeugen pro Stunde machte deutlich, dass menschliche Beobachtung an ihre Grenzen stößt. Blanco beschrieb die Herausforderung so: „Unser System basierte auf visueller Beobachtung, war zeitaufwendig und hing von der Erfahrung und Motivation jedes Teamleiters ab.“
Eine Risikoanalyse ergab 15 sicherheitsrelevante Gefährdungspunkte sowie 26 regelmäßig exponierte Beschäftigte. Das Werk suchte daraufhin nach Lösungen, die Echtzeitinformationen liefern und die Belastung der Teamleiter reduzieren. Die Antwort war ein KI-gestütztes System zur automatischen Erkennung unsicherer Handlungen. Für den Pilotbereich installierte Valladolid neun Kameras, drei Lautsprecher, Bildschirme in den Supervisorräumen und eine Anbindung an die Tablets der Gabelstapler. Die künstliche Intelligenz analysiert seither kontinuierlich das Geschehen und erzeugt Warnungen, sobald eine kritische Situation entsteht. Das Spektrum reicht vom zu geringen Abstand zwischen Personen und Maschinen über unautorisierte Personen in Sicherheitszonen bis hin zu Geschwindigkeitsüberschreitungen externer Fahrzeuge. Bei einer Abweichung ertönt sofort eine Lautsprecherdurchsage, parallel erscheint eine Warnung auf dem Display des Gabelstaplers und eine Meldung beim zuständigen Supervisor.
Die Wirkung zeigte sich schnell. Besonders in Bezug auf unerlaubte Durchgänge durch den Tunnel, der als Verbindungsachse mitten durch die Fabrik führt, registrierte das Werk deutliche Verbesserungen. Blanco sagte dazu: „Allein durch die Einführung des Systems konnten wir in fünf Monaten eine Reduzierung dieser unsicheren Handlung um 75 Prozent erreichen.“ Ähnlich erfolgreich war die Überwachung externer Fahrzeuge, bei denen die Zahl der Geschwindigkeitsverstöße um 96 Prozent sank. Die KI erkennt zudem ungewöhnlich lange Verweilzeiten einzelner Personen, die sowohl auf Fehlverhalten als auch auf medizinische Notfälle hinweisen können. Blanco erklärte: „Manche Menschen bleiben für lange Zeit stehen… stellen Sie sich vor, jemand ist in einem Außenbereich verletzt – wir erhalten in solchen Fällen sofort eine Warnung.“
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Alle Daten fließen in ein geschlossenes System, das datenschutzkonform arbeitet; Supervisoren sehen keine identifizierbaren Gesichter, lediglich die Gesundheitsabteilung erhält im Ernstfall Zugriff. Die Systeme liefern objektive, kontinuierliche und konsistente Beobachtungen – und entlasten die Teamleiter.
Ein integriertes digitales Sicherheitsökosystem
Parallel zu den kamerabasierten Erkennungsmechanismen modernisierte Valladolid die gesamte interne Logistiktechnologie. Gabelstapler sind heute nur noch über ID-Karten freischaltbar, was den Zugriff auf geschultes Personal beschränkt und Missbrauch verhindert. GPS-Sensorik ermöglicht eine präzise Verfolgung der Bewegungen und Kollisionen und bildet gleichzeitig die Basis für Effizienzanalysen der Flotte. Blanco hob hervor, welchen Unterschied diese Daten machen: „Wir haben eine Karte mit der automatischen Position und den Bewegungen jedes Gabelstaplers im Werk sowie der Erfassung jeder Kollision.“
Alle Informationen fließen in eine digitale Plattform, die Daten aus SMAT-Audits, Kameraüberwachung, VR-Training und Fahrzeugtelemetrie zusammenführt. Das Ergebnis ist ein Sicherheitsnetz, das kontinuierlich lernt, objektiv bewertet und sämtliche Mitarbeitenden nach denselben Kriterien beurteilt, ganz gleich ob sie täglich im Werk sind oder nur vereinzelt als externe Fahrer erscheinen.
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Ein Werk mit Signalwirkung
Das Iveco-Werk von oben.Iveco
Valladolid ist innerhalb der Iveco-Gruppe ein zentrales Werk. Täglich entstehen dort rund 130 Einheiten des Iveco Daily, dazu Varianten mit Automatikgetriebe sowie Fahrerhäuser für schwere Baureihen. Die Exportquote liegt bei 80 Prozent, der Daily ist in über 110 Ländern im Einsatz. Der Standort ist ein logistisches Drehkreuz mit hoher Taktung und komplexer Flächenstruktur und damit ein Umfeld, in dem Sicherheitslösungen nicht theoretisch sein dürfen, sondern im Alltag bestehen müssen.
Vor diesem Hintergrund ist der ausgezeichnete digitale Use Case nicht nur ein technischer Fortschritt, sondern Ausdruck einer Grundhaltung, so die Jury. Oder wie Blanco es formuliert: „Sicherheit ist das Fundament. Wenn man es in einem Bereich wie Sicherheit nicht schafft, Standards zu halten und aufrechtzuerhalten, dann wird man es auch in anderen Bereichen wie Qualität oder Effizienz nicht schaffen.“ Mit der Verknüpfung aus gewachsener Sicherheitskultur und modernen digitalen Werkzeugen zeige Valladolid, wie Industriearbeit in Zukunft organisiert sein könne.