Fehlende Halbleiter

Nexperia-Krise: Kurzarbeit und Produktionsstopps drohen

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Nexperia liefert Halbleiter-Chips für die deutsche Automobilindustrie

Während Verbände warnen, bemühen sich die Regierungen in Den Haag, Berlin und Peking um eine Lösung. Wir ordnen die Lage ein. Ist die Krise weniger ein industrielles als ein geopolitisches Problem?

Volkswagen schließt wegen der Probleme bei Nexperia kurzfristige Einschränkungen in der Produktion nicht aus. „Derzeit ist die Produktion unbeeinträchtigt. Vor dem Hintergrund der dynamischen Lage können Auswirkungen auf die Produktion kurzfristig jedoch nicht ausgeschlossen werden“, teilte das Unternehmen intern mit, ein Sprecher bestätigte das auf Anfrage. VW steht nach eigenen Angaben in engem Kontakt mit allen relevanten Beteiligten, um mögliche Risiken frühzeitig zu erkennen und über notwendige Maßnahmen zu entscheiden. Auch bei Mercedes-Benz beobachtet man die Entwicklung genau. Dank der engen Zusammenarbeit mit den Zulieferern und den Lehren aus der Chipkrise sei das Unternehmen im Kurzfristzeitraum abgesichert, hieß es aus Stuttgart. Verlässliche Prognosen seien jedoch schwierig.

Der VDA hatte schon am Dienstag vor möglichen Ausfällen wegen der Probleme bei Nexperia gewarnt – bis hin zu Produktionsstopps. „Die Situation könnte schon in naher Zukunft zu erheblichen Produktionseinschränkungen, gegebenenfalls sogar zu Produktionsstopps führen“, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Nach dem VDA meldete sich nun auch der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) zu Wort. Geschäftsführer Wolfgang Weber erklärte, die Mitgliedsfirmen arbeiteten an Ersatzlösungen, es gebe Signale, die Anlass zur Hoffnung gäben. Ein Problem liege jedoch in der notwendigen Qualifizierung der Ersatzbauteile, weshalb man keine Entwarnung geben könne. Die Krise müsse schnell politisch gelöst werden.

Regierung sucht nach Auswegen

Das Bundeswirtschaftsministerium teilte mit, man sei besorgt und stehe sowohl mit den beteiligten Unternehmen als auch mit der chinesischen Regierung im Austausch. Am Mittwochabend kamen Vertreter des Ministeriums, der Industrieverbände und mehrerer Unternehmen aus der Automobil- und Elektronikbranche zu einer Krisenschalte zusammen. Auch die Niederlande bemühen sich um eine Lösung: Der geschäftsführende niederländische Wirtschaftsminister Vincent Karremans hatte nach eigenen Angaben bereits am Dienstag mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Wentao telefoniert.

Auslöser der Krise ist die Entscheidung der niederländischen Regierung, die Kontrolle über den bislang von einer chinesischen Konzernmutter geführten Halbleiterhersteller Nexperia zu übernehmen. Damit wollte Den Haag verhindern, dass technologische Schlüsselkompetenzen und geistiges Eigentum in chinesischen Besitz übergehen. Peking reagierte darauf mit einem Exportstopp für bestimmte Nexperia-Produkte, darunter Chips für die Autoindustrie. Nach Gerichtsunterlagen soll der Schritt der Niederlande auf Druck aus den USA erfolgt sein, obwohl Karremans erklärt hatte, der Handelsstreit zwischen Washington und Peking habe nichts mit dem Fall zu tun.

Engpass bei zentralen Bauteilen

Nexperia mit Sitz im niederländischen Nijmegen zählt zu den führenden Anbietern sogenannter diskreter Halbleiter – vergleichsweise einfacher, aber unverzichtbarer Bauteile, die in Steuergeräten Signale verarbeiten, Spannungen regeln und Sensoren anbinden. Bei einzelnen Komponenten ist Nexperia nach eigenen Angaben Weltmarktführer. Zu den Kunden gehören neben Tesla auch Bosch und zahlreiche deutsche Zulieferer. Das Unternehmen verfügt über Werke in Hamburg und Manchester sowie Montagezentren in Asien. Der Hamburger Standort ist nach Angaben von Nexperia Deutschland weiterhin voll ausgelastet. „Wir sind zudem im kontinuierlichen Austausch mit unseren Kunden“, teilte das Unternehmen mit.

Auch der Mittelständler Diotec aus Baden-Württemberg, der ebenfalls diskrete Halbleiter produziert, berichtet von einer sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach Ersatzprodukten aus dem In- und Ausland. „Alternative Komponenten werden vor allem im Automobilsektor, aber auch im Industrie- und Konsumgüterbereich nachgefragt“, teilte das Unternehmen mit.

„Die Krise ist geopolitisch – nicht industriell verursacht“

Für Klaus Schmitz, Partner bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little, zeigt die Nexperia-Krise exemplarisch, wie eng wirtschaftliche und politische Entwicklungen mittlerweile miteinander verknüpft sind. „Die aktuelle Situation ist ausschließlich durch politisches Handeln mit direkter Wirkung auf Unternehmensebene ausgelöst worden“, sagt Schmitz. Fatal sei, wenn Unternehmen sich in geopolitischen Spannungsfeldern bewegten, während Regierungen gegensätzliche Strategien verfolgten. Die Folge sei eine Unsicherheit, die sich bis tief in die Lieferketten hinein fortsetze. Schmitz betont, dass Substitutionen durch alternative Hersteller nur begrenzt möglich seien. Hauptgrund dafür sei die aufwendige Qualifizierung nach automobilen Normen und internen Standards. Zwar hätten viele Hersteller nach der Chipkrise 2022 und 2023 begonnen, auch einfachere Halbleiter in ihr Risikomanagement einzubeziehen und den Anteil an Dual Sourcing zu erhöhen, doch dies sei noch längst nicht flächendeckend umgesetzt. Selbst wenn alternative Lieferanten zur Verfügung stünden, dauere die Umstellung aufgrund der komplexen Strukturen der Lieferketten eher Monate als wenige Tage.

Nach Einschätzung des Beraters handelt es sich bei der Nexperia-Krise bereits um die dritte Chipkrise innerhalb von anderthalb Jahrzehnten – nach den Engpässen infolge der Fukushima-Katastrophe 2011 und den pandemiebedingten Lieferausfällen 2021 bis 2023. Anders als damals seien die Ursachen heute jedoch nicht natur- oder nachfragebedingt, sondern geopolitischer Natur. „Die Automobilindustrie steht vor einer immensen Anpassungsschwierigkeit“, so Schmitz. Jahrzehntelang hätten offene Märkte, globale Arbeitsteilung und Just-in-Time-Logistik das Grundprinzip der Industrie geprägt. Dieses System sei auf den Konsens großer Wirtschaftsmächte gegründet gewesen. „Das hat sich massiv verändert – vor allem auf Seiten der USA und Chinas, während die Position der EU noch nicht klar erkennbar ist.“

Neutrale Position in der Realität problematisch

Schmitz sieht daher dringenden Handlungsbedarf auf politischer Ebene. Europa brauche eine tragfähige industriepolitische Strategie und müsse diese konsequent umsetzen. Regierungen und Unternehmen müssten enger zusammenarbeiten, Investitionen und Förderungen gezielt steuern und sich auf mögliche Konfliktszenarien vorbereiten. Theoretisch könne sich Europa zwischen den Machtblöcken USA und China neutral positionieren, faktisch sei der Spielraum jedoch begrenzt, weil die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten weiterhin hoch bleibe. China verfolge seine industriepolitischen Programme „Made in China 2025“ und „Semiconductor Self-Reliance 2030“ konsequent weiter. Europa müsse darauf mit einer ebenso langfristigen und kohärenten Strategie reagieren, fordert Schmitz. Die europäische Chipindustrie sei im Automobilbereich stark, vor allem bei Standardbauteilen. In Bereichen wie künstlicher Intelligenz und Hochleistungsrechnen sei die Abhängigkeit von US-Designern und asiatischen Fertigern dagegen groß. Es gelte nun, diese Abhängigkeit zu verringern und die bestehende Stärke im Automobilsektor zu sichern, insbesondere mit Blick auf die wachsende Bedeutung von Software und autonomen Fahrfunktionen.

Noch läuft die Produktion bei deutschen Herstellern stabil. Doch die Nexperia-Krise verdeutlicht, wie verletzlich globale Lieferketten bleiben – und dass geopolitische Entscheidungen binnen Tagen ganze Industriezweige unter Druck setzen können. Ob die Gespräche zwischen Den Haag, Berlin und Peking eine schnelle Entspannung bringen, bleibt offen. Sicher ist nur: Europa muss seine Rolle in der globalen Halbleiterlandschaft neu definieren.