Der Tritt auf das Gaspedal raubt selbst den Rennslicks den Atem. Beim Herausbeschleunigen aus der Haarnadel-Kurve stempeln die mächtigen Gummiwalzen an der Hinterachse, wie ein Postbeamter auf Drogen. Kein Wunder, prügeln doch mehr als 660 Newtonmeter ohne Verzögerung auf die Pneus ein. Kaum haben die Reifen genug Haftung, schießt der Audi e-tron Vision Gran Turismo derart ungestüm nach vorne, dass es einen mit Karacho in den Schalensitz pfeffert. Ohne Rücksicht auf die drohende Ohnmacht des Piloten stürmt das Geschoss unbarmherzig voran, untermalt vom charakteristischen Sirren des E-Motors. So fühlt sich also die Vorstufe des Warp-Antriebs an: Nach 2,5 Sekunden sind die magischen 100 km/h erreicht - da schauen so manche Hyper-Cars alt aus.
Das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Nur 5,2 Sekunden später zeigt der digitale Tacho auf dem kleinen Display schon das Zweifache an. "Über 300 km/h wären problemlos drin", lächelt Dr. Martin Mühlmeier. Doch der Elektrorenner ist auf die Rennstrecken der Formel E abgestimmt und hat eine relativ kurze Übersetzung, deswegen ist bei maximal 250 km/h Schluss. Beim Audi e-tron Vision Gran Turismo geht es nicht um das bloße Tempobolzen, sondern um Agilität und Dynamik. Mit dem riesigen Heckspoiler und dem Diffusor sieht das Geschoss nicht nur aus, wie ein Renn-R8, sondern es knallt auch dementsprechend um die Ecken. Insgesamt 600 kW / 815 PS sorgen für Vortrieb: ein Elektromotor mit 200 KW / 272 PS vorne und zwei mit der jeweils identischen Leistung hinten, die zudem noch die Kraft zwischen den beiden Rädern am, Heck verteilen. Zusammen dem permanenten Allradantrieb und der Differenzialsperre vorne werden so die über 1.000 Newtonmeter Systemdrehmoment gebändigt.
Wie der Namen Audi e-tron Vision Gran Turismo schon verrät, wird die weiß-schwarz-rote Flunder auch im legendären Playstation-Rennspiel zu fahren sein, doch die weißrote Flunder ist nicht nur die Ausgeburt eines virtuellen Videospektakels, sondern ein kompromissloser Rennwagen, mit dem man auf jeder Rennstrecke auf Bestzeitenjagd gehen kann. Das Lenkrad mit den zwei Griffhörnern und den Paddeln entspricht im Grunde dem der DMT-Fahrzeuge und ist übersäht mit Knöpfen, darunter der Fahrerfunk oder das Aktivieren der Trinkflasche. Ein kleines Display informiert den Piloten über alle relevanten Daten, wie die Reichweite oder die Temperatur der Akkus.
Mixtur aus Serienfahrzeug und Rennmaschine
Jetzt kommt die nächste Kurve. Wie es sich für einen Rennwagen gehört, hat der E-tron zwar Carbonbremsen, aber keinen Bremskraftverstärker. Also heißt es mit Schmackes in die Eisen steigen. Wenn es um das letzte Zehntel geht, verstellt man mit dem großen Carbon-Propeller rechts neben dem Lenkrad die Bremsbalance. Mit dem Schalter darüber deaktiviert die Servolenkung, um auch auf der Rennstrecke, das perfekte Gefühl für die Traktion und die Kurvengeschwindigkeit zu haben. Jetzt geht es rum ums Eck. Mit einem Gewicht von 1.450 Kilogramm ist die Last, die zum Kurvenrand drängt, nicht allzu groß. Der Vision Gran Turismo agiert gutmütig, will aber mit Bedacht bewegt werden. Wer das PS-Biest in der Kurve zu früh von der Leine lässt, läuft Gefahr einen unfreiwilligen Donut hinzulegen. Wie es sich für einen Rennwagen gehört, fehlen sämtliche Regelsysteme, Wohl und Wehe hängen von dem Gefühl im rechten Fuß und dem berühmten Popometer des Fahrers ab. Also heißt es ganz konventionell erst nach dem Scheitel beim Öffnen des Lenkrads progressiv aufs Gas steigen.
Mit jedem Meter wächst das Vertrauen in die E-Renner und der Hufschlag, der für das Bremsen notwendig ist, geht einem schnell in Fleisch und Blut über. "Dieses Auto ist rein auf Performance ausgelegt", erklärt Martin Mühlmeier. Die ist auch notwendig, um das Geschoss, das ein Leistungsgewicht von 1,78 Kilogramm pro PS zu bewegen: Mal eben entspannt das Gefährt mit dem kleinen Finger um die Kurve zirkeln, ist nicht. Der Elektro-Renner verlangt nicht nur die ganze Aufmerksamkeit des Piloten, sondern auch dessen vollen körperlichen Einsatz.
Perfekte Umsetzung
Technisch ist der Audi e-tron Vision Gran Turismo eine Mixtur aus Serienfahrzeug und Rennmaschine: Während das Fahrwerk aus dem Rennsport stammt, ist der Antriebsstrang eng verwandt mit dem der e-tron-Elektrofahrzeuge, die bald in Serie gehen werden. Die Batterie hat eine Kapazität von 60 Kilowattstunden und wird mit einem Wasserkreislauf gekühlt. "Bewegt man den Audi e-tron Vision Gran Turismo im Normzyklus, sind ähnliche Reichweiten, wie beim Serienauto drin", bestätigt Martin Mühlmeier. Auf der Rennstrecke schaut das natürlich anders aus.
Wie der Elektrorenner fährt, das kann jeder auf der Playstation mit dem legendären Rennspiel Gran Turismo selbst erleben. Die Japaner begleiten das Audi-Projekt seit knapp fünf Jahren und Kazunori Yamauchi der Schöpfer des Videospiels kam selbst immer wieder nach Deutschland, um in unzähligen Proberunden herauszufinden, ob der virtuelle Renner, genauso um die Ecken pfeift, wie der echte. Dazu waren mehrere tausend Parameter notwendig, die die Fahrcharakteristik des Autos in der virtuellen Welt definieren - darunter das Nicken beim Bremsen und das Wanken in den Kurven. Sehr schwierig ist die Aerodynamik, aber dafür haben die Macher von Gran-Turismo eigene Prüfstände, um das nachzustellen. Auf der Frage, ob er denn mit dem Fahrverhalten desvirtuellen Fahrzeugs zufrieden sei, lächelt der rennsportbegeisterte Videospiel-Pionier und sagt nur "Ja, sehr". Und wer Yamauchis Perfektionismus kennt, weiß, was das bedeutet.