Daimler-CEO Ola Källenius steht auf der Bühne des MGM Park und lässt zusammen mit Filmregisseur James Cameron zumindest virtuell die Puppen tanzen. Die Studie des Mercedes Vision AVTR ist als Kooperationsmodell mit der Filmindustrie von Hollywood und dem Starregisseur einer der großen Stars auf der Consumer Electronic Show 2020. Bei der größten Unterhaltungsmesse der Welt im Spielerparadies Las Vegas haben längst nicht nur Samsung, LG oder Sony ihre große Bühne. Sony schwingt sich nur scheinbar zum Autohersteller auf und zeigt mit dem Vision-S für die meisten überraschend die 4,90 Meter lange Studie eines eigenen Elektroautos, das mit seinen vier Sitzplätzen, zahllosen Sensoren und 400 kW Leistung keine Realitätsabsichten hat. Ein Elektroauto aus der Garage eines Unterhaltungselektronikers hatte man lange Jahre in erster Linie Apple zugetraut, die sich letztlich von dem zu teuren Projekt verabschiedeten. Sony will zeigen, dass es auch eine Firma aus der Consumerbranche kann und das Geschäft mit Kameras und Sensoren ist ein ertragreiches - da kommt eine automobile Vision im Umfeld der mächtigen Fachmesse gerade Recht. Auch wenn die Autohersteller nicht mehr ganz so laut wie noch vor ein paar Jahren trommeln - wer in der Autobranche etwas auf sich hält, ist auch in diesem Jahr auf der CES.
So ganz neu ist der Trend hin zur CES in Las Vegas und weg von einer klassischen Automesse wie dem einst fix gesetzten Jahresauftakt der North American International Autoshow in Detroit nicht. Die dortige Motorshow wandert als Schatten ihrer selbst in diesem Jahr in den Juni und die Gänge der CES sind voller denn je. Das dürfte sich im kommenden Jahr noch fortsetzen, wenn die mächtige Messeerweiterung des Las Vegas Convention Centers den verwöhnten Autobauern im Januar 2021 völlig neue Chancen auf einen imagereichen Auftritt auf neuem Parkett gibt. Auch wenn die sonst so mächtigen Autobauer auf der größten Leistungsschau der Unterhaltungselektronik von den großen Marken Samsung, Sony, Google und Co. bisher eher als Nebendarsteller belächelt werden, darf man hier kaum fehlen, wenn man als Autobauer oder Zulieferer visionär und zukunftsgewandt als Mobilitätskonzern erscheinen will. "Mercedes war schon immer eine Technologie- und Luxusmarke. Mehr denn je geht es jetzt darum, Luxus und Nachhaltigkeit noch näher zusammenzubringen. Denn für Mercedes stehen die beiden in keinem Widerspruch", so Daimler-CEO Ola Källenius, "die Menschen lieben die individuelle Freiheit, jederzeit dorthin zu reisen, wo sie gerade wollen. Deshalb ist unsere Perspektive eindeutig: wir respektieren die Grenzen unseres Planeten - aber wir wollen individueller Mobilität keine neuen Grenzen setzen."
Während die meisten weltweiten Automessen vor sich hintrotten, bereits abgestellt wurden oder um ihre Zukunft bangen, sieht das in dem immer gigantischer werdenden Convention Center in Las Vegas zum Auftakt des Jahres ganz anders aus. Nicht nur Branchenneulinge und Kleinhersteller wie Byton, Bird, Rivian oder Fisker bespielen die Leistungsschau, die längst eine interdisziplinäre Zukunftsplattform geworden ist, sondern auch die etablierten Marken wollen sich als innovativ, offen und visionär präsentieren. Das gelingt mit dem ein oder anderen Messeauftritt besser oder schlechter. Nerds sind unverändert willkommen. Manche Neuheiten sind dünn, blass oder nicht wirklich neu - andere sollen nicht nur in der Autoindustrie Maßstäbe für morgen und übermorgen setzen. Dabei hat der ein oder andere Autohersteller allemal Probleme über seinen eigenen Schatten zu springen und weiß nicht, ob ein Blick in die Zukunft ausreicht, die Technologien greifbar genug sind oder es doch ein neues Auto sein sollte. Während Fisker mit dem elektrischen Crossover Ocean zum Preis von unter 40.000 Dollar den nächsten Versuch unternimmt, das Auto der Zukunft Realität werden zu lassen oder Byton wiederholt unterstreicht, das sein M-Byte mit seinen mehr als 60.000 Vorbestellungen in diesem Jahr endlich Realität wird, lassen es gerade die großen Autobauer etwas subtiler angehen. BMW zeigt verklausuliert den Innenraum des elektrischen Hoffnungsträgers iNext, der 2021 Realität werden soll. Audi lässt einen mit der bekannten Studie AI:ME empathischer denn je in einen autonome Cityverkehr blicken und Mercedes entführt einen mit dem Vision AVTR in eine Filmwelt der Zukunft - Avatar 2 lässt grüßen.
Bildschirme und Vernetzung
Jaguar Land Rover gibt sich mit seinem bald auf den Markt kommen Defender realitätsnäher und zeigt, dass nur mit mehreren SIM-Karten eine perfekte Vernetzung garantiert werden kann. Während die Kinder im Fond Filme streamen, bekommt der Fahrer die aktuellen Verkehrsinformationen - in Echtzeit. BMW zeigt einen Ausblick auf die Bedienkonzepte der kommenden Jahre und lässt einen dabei schon einmal in den Schlummersesseln des BMW X7 träumen. Hersteller wie Nissan, Toyota oder Fiat zeigen ihre jüngsten Konzeptstudien bei der CES 2020 erstmals auf dem amerikanischen Kontinent und Hyundai arbeitet zusammen mit Uber an einem Velocopter-Service.
Bosch zeigt mit dem Virtual Vizor als Technikdetail unter anderem eine Sonnenblende, welche die Scheinwerfer des Gegenverkehrs über eine Maske ausblendet. Noch nicht abgefahren genug? Wie wäre es mit einer Brille, die verschiedene Informationen in das Blickfeld des Fahrers projiziert? Genau in die andere Richtung arbeitet die neue Display-Technik von Bosch, bei dem Warnhinweise aus der Instrumenteneinheit dreidimensional ins Blickfeld des Fahrers gespielt werden. Continental führt das weiter, was Modelle wie der Audi E-Tron in Realität umgesetzt haben. Kleine Kameras ersetzen hierbei die Außenspiegel und projizieren die Bilder auf Displays im Innern. Das senkt nicht nur den Luftwiderstand, sondern ermöglicht es auch, einfache Warnhinweise einzuspielen.
Toyota und Hyundai mit Stadt der Zukunft
Zulieferer ZF setzt mehr denn je auf das automatisierte Fahren und präsentiert auf der CES ein Fahrerassistenzsystem, das für Herstellkosten von rund 1.000 Dollar im Fahrzeug verbaut werden kann und so ins Volumen gehen soll. Ein erster asiatischer Hersteller soll zu dem Preis bereits angebissen haben. "Level 2+ Systeme erfüllen nicht nur kommende Sicherheitsvorgaben, sie helfen, den Fahrer zu entlasten und bringen ihm so einen echten Mehrwert. Bei ZF gehen wir davon aus, dass in naher Zukunft ein Großteil der Fahraufgaben im Pkw von teilautomatisierten Systemen übernommen wird, sagt Christophe Marnat, Leiter der ZF-Division Elektronik und Advanced Driver Assist Systems.
Toyota, unangefochtene Nummer eins in Asien, will auf einem ehemaligen Firmengelände eine visionäre Stadt der Zukunft mit Namen Woven City entwickeln und auch Hyundai denkt über eine solche urbane Vision nach. "Eine komplette Stadt zu bauen, selbst in einem kleinen Maßstab wie diesem, ist eine einzigartige Gelegenheit, Zukunftstechnologien zu entwickeln, einschließlich eines digitalen Betriebssystems für die Infrastruktur der Stadt. Mit Menschen, Gebäuden und Fahrzeugen, die alle miteinander verbunden sind und über Daten und Sensoren kommunizieren, werden wir in der Lage sein, die vernetzte KI-Technologie zu testen - sowohl im virtuellen als auch im physischen Bereich", erklärt Akio Toyoda, Präsident der Toyota Motor Corporation. Die 175 Hektar große Zukunftsstadt unweit des Mount Fuji soll als lebendiges Labor Bewohner und Forscher beheimaten, die vor Ort Zukunftstechnologien wie Autonomie, Robotik, Mobilität oder künstliche Intelligenz in einer realen Umgebung erproben.
Ford präsentiert auf der CES zusammen mit dem amerikanischen Unternehmen Agility Robotics einen humanoiden Roboter mit Armen und Beinen, der Lagerhaltung und Warenlieferungen effizienter und erschwinglicher gestalten soll. In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen auch beim Massenlieferdienst Amazon, der auf der größten Consumermesse der Welt natürlich nicht fehlen darf. Das dürfte sich auch der ein oder andere Autohersteller in den nächsten Jahren denken. Darf man der CES überhaupt noch fernbleiben?