Ralf Klasen hat in den letzten Wochen vor der Eröffnung alle Hände voll zu tun; die Tage sind lang und voll - die Nächte kurz. Das alte Möbelhaus an der Ringstraße in Essen-Kettwig ist mittlerweile kaum mehr wiederzuerkennen. Diejenigen, die sich allmorgendlich an der Hausnummer 38 vorbeistauen, dürften es mittlerweile bemerkt haben, dass das Gebäude in den vergangenen Monaten eine imposante Verwandlung hinter sich gebracht hat. Ehemals war hier ein Schwerbetrieb untergebracht, danach hatte es viele namenlose Mieter, zuletzt ein alles andere als hochpreisiges Möbelhaus, in dem niemand interessierte, dass die Rückwand des Gebäudes einen Teil der alten Kettiger Stadtmauer beinhaltete. Am 4. Mai wird hier das Jaguar Land Rover Classic Center eröffnen.

Es ist das erste Klassikzentrum außerhalb Englands und die JLR-Verantwortlichen erhoffen sich aufgrund der zentralen Lage im Herzen von Europa einen regen Besuch von Klassikfans der beiden ehemals eigenständigen Marken Jaguar und Land Rover. Ein solches Oldtimermekka hätte man wohl am ehesten in München, Frankfurt oder allenfalls noch in Düsseldorf erwartet. Doch beim Namen Essen-Kettwig dürften viele Klassikfans die Augenbrauen hochziehen. Kettwig wäre so gerne eine eigenständige Stadt oder würde zumindest gerne zum imageträchtigen Düsseldorf gehören. Die Aufstände im Rahmen der Gebietsreform Mitte der 70er Jahre waren groß und zuletzt versuchte der größte Stadtteil von Essen in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wieder zurück in die Arme von Mettmann / Düsseldorf zu gelangen - ohne Erfolg. Kettwig kann sich für ein kleines Städtchen im Ruhrgebiet insbesondere durch die historischen Bauten und die Lage an der bisweilen malerischen Ruhr durchaus sehen lassen. Jetzt gibt es mit dem ersten kontinentalen Classic Center von JLR eine Anlaufstelle für brit-geneigte Oldtimerfans aus ganz Europa. Mit 4.500 Quadratmetern ist das Areal rund ein Drittel so groß wie die britische Klassikzentrale in Ryton on Dunsmore, wo mit Herstellergarantie selbst aufwendigste Werksrestaurierungen durchgeführt werden, die bis zu zwei Jahren dauern können.

"Wir sind hier in Kettwig sehr gut zu erreichen und rechnen damit, dass Klassikfans der Marke aus ganz Europa kommen", erzählt Klasen, "doch natürlich holen wir die Fahrzeuge unserer Kunden auf Wunsch auch von überall her ab. Es ist für viele einfacher zu uns nach Essen zu kommen, als den Wagen nach England bringen zu lassen." In Kettwig können alle Arbeiten an den Klassikern durchgeführt werden, für die es sonst nur das Zentrum in der britischen Heimat gegeben hätte. Die meisten Fans historischen Jaguar- oder Land Rover Modelle haben sich diese Mühe gar nicht gemacht und haben den eigenen Traumwagen kurzerhand in eine freue Klassikwerkstatt mit dem Unionjack an der Eingangstür verbracht. Dieses durchaus ertragreiche Geschäft holt JLR nach Vorbild von Marken wie Porsche, Mercedes oder BMW nun zu sich.

Das volle Programm

Das Stammteam für den Start der britischen Klassikwerkstatt steht und Klasen will seine Mannschaft bis zum nächsten Jahr je nach Bedarf weiter ausbauen. Damit die Kompetenz stimmt, wurden Klassikexperten und Techniker bereits vor Monaten ausgesucht. Zudem wird es ein Austauschprogramm mit der JLR-Heimatwerkstadt im Süden Englands geben. Für besonders schwierige Fälle werden die Experten gleich eingeflogen und immer wieder werden auch Werkstattleute aus Essen auf die Insel jetten. Von einer einfachen Inspektion bis zu Unfallinstandsetzungen oder Gutachten mit Herstellergarantie - alles ist ab Mai auch in Kettwig möglich.

Das lokale Classic Center selbst sieht von außen vergleichsweise unspektakulär aus, wird im Innern aber zu einem wahren Markentempel. In der zentralen Halle gibt es besonders exklusive Klassiker zu bestaunen, die von verglasten Büros flankiert werden. Durch eine Glaswand können die Besucher in die erste Werkstatt mit ihren fünf Arbeitsbühnen schauen. "Dahinter wird es eine weitere Werkstatt geben, wo sich weitere vier Bühnen befinden", erläutert Klasen bei der ersten Begehung, "darüber befindet im ersten Geschoss eine Lagerebene für Fahrzeuge." Hier können diejenigen, die zu Hause nicht genug Platz haben, ihr Auto bestens gesichert und gepflegt abstellen. Immer fahrbereit und bestens gepflegt geht es über eine Rampe auf die Straße und ab ins Umland für eine kleinere oder größere Tour.

Historie verpflichtet

Den Charakter des historischen Werksgebäudes wollte Klasen zusammen mit seinem Sieben-Mann-Team behalten. Das ist gelungen. Neben den gleißend hellen LED-Lichtern an der Decke gibt es hier neben der offenen Dachkonstruktion noch jene historischen Hängeleuchten zu bestaunen, die die Arbeitshalle einst im Schichtbetrieb in ein idyllisches Licht getaucht hatten. Der Betonboden wurde nur abgeschliffen - Kratzer, Macken und Beschädigungen von einst stehen dabei im krassen Gegensatz zu den modernen kleinen Büros und der Hightech-Werkstatt, in die ab Mai automobile Preziosen einziehen sollen. An den Wänden hängen überdimensional große Grafiken von Klassikern wie dem Jaguar E-Type, einem Range Rover Classic oder dem Jaguar XKSS.

Erste Oldtimerfans scharren schon mit den Reifen und können es kaum abwarten, den eigenen Liebling britischer Abstammung lieber heute als morgen ins neue Classic Center an der Ruhr bringen. "Ich musste schon eine Reihe von Kunden vertrösten, die ihre Autos sofort zu uns bringen wollten", sagt Ralf Klasen, "ein Kunde wartet zum Beispiel dringend darauf, dass wir seinen zerlegten E-Type wieder zusammensetzen, woran er verzweifelt ist." Platz genug ist für den ersten Ansturm allemal vorhanden. In den beiden Werkstätten gibt es zum Arbeitsstart im Mai neun Bühnenarbeitsplätze, an denen bestens ausgerüstet gewerkelt werden kann. Dank Bremsenprüfstand ist das Classic Center selbst für TÜV-Prüfungen vorbetreitet. Für alle Fahrzeuge gilt: der Jaguar oder Land Rover, der in die Räume der Ringstraße 38 in Essen-Kettwig knattert, muss mindestens zehn Jahre alt.

Die offizielle Eröffnung des Jaguar Land Rover Classic Centers findet mit einem großen Fest am Freitag, 4. Mai, statt. Am Montag danach geht dann der ganz normale Oldtimeralltag los. "Und bei Kapazitätsengpässen oder der Wartung von speziellen Fahrzeugen wie dem Jaguar XJ 220 kommt dann einfach die Kavallerie aus Coventry", lacht Ralf Klasen. Er kann es augenscheinlich kaum abwarten und damit geht es ihm wie vielen JLR-Klassikfans in ganz Europa, die gedanklich schon lange auf dem Weg nach Kettwig sind - zu welcher Stadt es auch immer gehören möchte.

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