Weltweit betrachtet ist der ID.4 deutlich wichtiger als der ID.3, der elektrische Zwillingsbruder des konventionell angetriebenen VW Golf. Der ID.4 soll als Mittelklasse-Crossover der Einstieg in die neue, schöne Elektrowelt der Wolfsburger sein. Optisch ist er gerade an der Front eng mit dem kompakten ID.3 verwandt, wobei der treu-liebliche Blick aus den LED-Augen vielen, aber nicht allen gefallen dürfte. Etwas selbstbewusster dürfte der neue Hoffnungsträger aus dem sächsischen Zwickau, der parallel auch in China und bald auch im amerikanischen Volkswagen-Werk in Chattanooga vom Band laufen soll, durchaus dreinblicken. Denn der VW ID.4 ist ein richtig gutes Auto mit viel Platz im Innern, deutlich besserer Materialanmutung als im kleinen Bruder und einem exzellenten Fahrverhalten. Zwei seiner härtesten Wettbewerber kommen dabei aus dem eigenen Stall, denn nicht zuletzt Audi Q4 E-Tron und Skoda Enyaq dürften dem VW ID.4 durchaus Kopfzerbrechen bereiten. Beide bieten die nahezu identische Technik, sehen aber besser aus.
Zum Marktstart muss der VW ID.4 ohne Allradantrieb auskommen. Die sportliche GTX-Variante mit 225 kW / 306 PS und elektrischer Allradpower kommt erst im nächsten Jahr auf den Markt. Doch gerade die aktuelle Topversion mit 150 kW / 204 PS und obligatorischem Hinterradantrieb dürfte das Massenmodell werden. Er ist bestenfalls mit einem 77 kWh großen Akkupaket verfügbar. Später wird es weitere ID.4-Modelle mit 109 kW / 148 PS sowie 125 kW / 170 PS geben. Keine Überraschung, dass sich die meisten Kunden für die größere der beiden Akkuvarianten entscheiden werden, um beim Gedanken an die einst so unendlichen TDI-Reichweiten von mehr als 1.000 Kilometern ohne Nachtanken keine weißen Haare zu bekommen. Das 82-kWh-Paket, von dem 77 kWh genutzt werden können, ermöglicht Reichweiten von 520 Kilometer, während die kleine 52-kWh-Version nur 360 Kilometer schafft, ohne dass der ID.4 wieder an die Ladesäule muss, an der mit maximal 125 Kilowatt nachgetankt werden kann. Gerade für längere Strecken oder Fahrten in der kalten Jahreszeit führt am großen Akkupaket kaum ein Weg vorbei. Der Normverbrauch liegt bei guten 17,9 kWh.
Während der VW ID.3 die vermeintlichen Golf-Kunden auf den tugendhaften Pfad der Elektromobilität führen soll, greift der größere ID.4 die SUV-Fans beim Schopf und versucht sie ins Stromlager zu ziehen. Ihnen gefallen wird der große und variable Innenraum mit reichlich Platz vorne und hinten. "Wir haben sechs Zentimeter mehr Innenraum als das Tesla Model Y, obwohl wir rund 19 Zentimeter kürzer sind", erläutert VW-Markenchef Ralf Brandstätter und nimmt damit schon einen der direkten Wettbewerber ins Visier. Gestrichen wurden die Ledersitze - sie sind beim ID.4 nicht mehr zu bekommen. Überaus variabel ist die Mittelkonsole, denn hier finden sich zwei Becherhalter, Handyplätze und weitere Ablagen. Das hintere Fach lässt sich mit Trennelementen aufteilen, die Handyschale ist beleuchtet und die Fondpassagiere freuen sich über zwei USB-C-Ladebuchsen zusätzlich zu den Anschlüssen vorn. Der Gepäckraum fasst je nach Stellung der Rücksitzlehnen 543 bis 1.575 Liter. Praktisch sind Details wie eine elektrische Heckklappe, Dachreling und auf Wunsch sogar eine Anhängerkupplung.
Viel Platz und Fahrdynamik
An das zentrale 12-Zoll-Display mit seinen nicht immer eingängigen Bedienfunktionen im Smartphone-Design gewöhnt man sich schnell. Die Instrumenteneinheit hinter dem Lenkrad ist jedoch allzu klein geraten. Daran ändern auch die überschaubar dargestellten Informationen und das darüberliegende Head-up-Display nichts, denn auch das sieht aus wie ein Mäusekino. Anders als beim Startmodell ID.3 gibt es darüber einen sogenannten Augmented-Bereich, wo ähnlich wie bei neuen Mercedes-Modellen Fahrsignale in den Bereich vor dem Auto eingeblendet werden. Blaue Pfeile führen nahezu idiotensicher in die Straße, in die man abbiegen soll oder weisen auf Gefahren hin.
Gefallen kann der 4,58 Meter lange VW ID.4 nicht nur durch das Platzangebot vorne wie hinten, sondern ganz abgesehen von seinem elektrischen Antrieb durch das ausgewogene Fahrwerk. Die Lenkung ist betont leichtgängig und etwas mehr Rückmeldung von der Fahrbahn wäre klasse. Dafür ist der Wendekreis - ermöglicht durch den Heckantrieb - mit 10,20 Metern ungewöhnlich klein für ein Auto, das 4,58 Meter Länge misst und einen 2,77 Meter langen Radstand hat. Das Gewicht von knapp zwei Tonnen ist insbesondere angesichts des fehlenden Allradantriebs üppig. Doch das Akkupaket zwischen den beiden Achsen sorgt immerhin für eine gute Gewichtsverteilung und einen gelungenen Schwerpunkt bei flotter bis sehr ambitionierter Gangart. Angenehm: am Steuer gibt es keine Antriebskräfte und der ID.4 bringt seine 204 PS nebst 310 Nm maximalem Drehmoment artgerecht und wenn gewünscht überaus dynamisch auf die Straße. Mit den verschiedenen Fahrmodi - unscheinbar über einen Taster im Armaturenbrett zu schalten - passt sich der Elektro-SUV bei Gasannahme und Fahrwerk den Wünschen des Fahrers und den Bedingungen auf der Straße an. Wird es schnell und kurvig, geht es in den Sportmodus; sonst ist man im Komfortprogramm besser bedient.
Aus dem Stand sprintet der Elektro-SUV in 8,5 Sekunden auf Tempo 100. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 160 km/h abgeriegelt. Auf längeren Autobahnpassagen wird es daher zäh; auch weil das Elektromodell ab 140 km/h etwas müde wird und nicht den Tatendrang unter 100 km/h an den Tag legt. Angenehm niedrig ist das Geräuschniveau. Dafür sorgen umfangreiche Dämmmaterialien und der gute cW-Wert von 0,28. Der Preisunterschied zum jeweils vergleichbaren ID.3 liegt bei rund 7.000 Euro; heißt, der VW ID.4 startet Anfang kommenden Jahres mit der Pure-Edition bei rund 36.950 Euro. Noch in diesem Jahr sind die ersten Modelle der Startversionen ID.4 First und ID.4 First Max verfügbar, die deutlich besser ausgestattet jedoch 49.000 bzw. sogar 59.000 Euro kosten.