Fußballbegeisterte Menschen kennen das Gefühl. Alle zwei Jahre stehen im Sommer die großen Turniere an. Ob Welt- oder wie in diesem Jahr Europameisterschaft – die Vorfreude ist einfach da. Umso 'langweiliger' sind die ungeraden Zwischenjahre. Von einem solchen kann man 2024 für die Autoindustrie sprechen. Während für 2025 große Premieren auf der Agenda stehen – Neue Klasse oder Einstiegsstromer wie der ID.2 lassen grüßen – kommen die diesjährigen neuen Modelle weniger bahnbrechend daher. Nach wie vor befindet sich die Automobilindustrie im Umbruch.
Auf der einen Seite steht die anhaltende Beliebtheit traditioneller Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die auch 2024 mit Neuauflagen von Modellen wie dem Audi Q8 und Q9, dem Porsche Panamera und dem BMW 5er bedient wird. Parallel dazu nimmt die Einführung von Elektrofahrzeugen Fahrt auf, mit Modellen wie dem BMW iX2, dem BMW i5 und dem Audi Q6 e-tron.
Dennoch wird das Jahr 2024 auch von einem Mangel an erschwinglichen Elektroautos geprägt sein. Während die Ankündigungen des Elektro Twingo unter 20.000 und des ID.2 unter 25.000 Euro Hoffnungen weckten, werden diese frühestens 2025 verfügbar sein. Der viel diskutierte „Baby Tesla", für Simon Schnurrer vom Beratungsunternehmen Oliver Wyman "ein potenzieller Gamechanger", lässt ebenfalls noch auf sich warten. Diese Lücke im Angebot erschwinglicher E-Autos zeigt, dass die Industrie noch einen weiten Weg vor sich hat, um Elektromobilität für alle zugänglich zu machen.
Chinas Modelloffensive rollt 2024 an
Ein wesentlicher Aspekt des Wandels in der Autoindustrie ist der Aufstieg der chinesischen Automobilhersteller, die dank staatlicher Unterstützung und günstiger Faktorkosten zunehmend an Bedeutung gewinnen. Marken wie BYD drängen mit innovativen Elektrofahrzeugen auf den Markt und setzen europäische Hersteller unter Druck. Besonders gespannt sein dürfe man auf den Zeekr 001. "Das ist ein absolutes Watch-Out-Produkt, was in der Branche für das beste chinesische Elektroauto gehalten wird", so Schnurrer. Aber auch Modelle wie der BYD Seal, XPeng P5 oder der Nio ES8 hätten großes Potenzial. "Man merkt, dass die Modelloffensive der chinesischen Player läuft."
Der schnelle Entwicklungszyklus in China, kombiniert mit einer starken Softwarekompetenz, stellt eine Herausforderung für traditionelle Automobilhersteller dar, die um Anschluss ringen. Schnurrer betont jedoch, dass es "einen Weg zurückzulegen gilt", bevor chinesische Produkte eine echte Dominanz über europäische Produkte erlangen können. Gleichzeitig mahnt er, dass europäische Hersteller aufholen müssen.
Das Problem der Produktionskosten von Elektroautos
Dabei gibt es Faktoren, die nur schwer zu beeinflussen sind. Die von jetzt auf gleich gestrichene Kaufprämie für Elektroautos war für viele Privatkunden zunächst ein Schock. Dann entpuppte sich der kommunikative Offenbarungseid der Ampel-Koalition immerhin noch als Hoffnungsschimmer für endlich sinkende Preise für E-Autos. Zuletzt häuften sich derartige Meldungen: Ob Tesla, VW oder Renault – viele große OEMs drückten rund um den Jahreswechsel die Einstiegspreise einiger Modelle. Doch trotz aller Bemühungen sind die Möglichkeiten noch immer begrenzt, was vor allem an den in der Produktion anfallenden Kosten liegt. Die Managementberatung Oliver Wyman bezifferte die Produktionskosten eines Mittelklasse-Verbrenners im Jahr 2022 auf durchschnittlich rund 23.000 US-Dollar. Bei Mittelklasse-Elektroautos lagen diese laut den Beratern bei mehr als 34.000 US-Dollar – eine Kostendifferenz von mehr als 10.000 Dollar pro Stück. Haupttreiber ist dabei die Batterie, die für mehr als ein Drittel der Produktionskosten sorgt. Dennoch dürfte die Preisparität in den nächsten Jahren deutlich näher rücken.
Die Optimierungspotenziale sind laut Fabian Brandt vom Beratungsunternehmen Oliver Wyman bei verschiedenen Aspekten limitiert. "Diejenigen Player, die eine integrierte Wertschöpfungskette haben, werden in der früheren Phase einer technischen Entwicklung größeres Optimierungspotenzial haben. Insbesondere an den Schnittstellen ergeben sich hier größere Potenziale als bei denjenigen, die sehr arbeitsteilig aufgestellt sind", so der Berater. Auf lange Sicht könne sich dieser Nachteil aber zum Vorteil entwickeln. Denn wenn das Geschäft ausgereifter ist, hätten die Spezialisten die meisten Skaleneffekte. Für ein etabliertes Geschäft sei das arbeitsteilige besser. Für ein neu entstehendes Geschäft biete das integrierte mehr Potenzial.
Zukunftsplattformen kommen nicht 2024, müssen aber sitzen
Generell zeichnen sich zwei entscheidende Themen ab: die Notwendigkeit, Innovationen schneller auf den Markt zu bringen sowie die Herausforderung, in einem zunehmend von Elektromobilität dominierten Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Verzögerungen bei Schlüsselprojekten wie Trinity von Volkswagen zeigen die Schwierigkeiten auf, mit denen etablierte Hersteller konfrontiert sind. Für Schnurrer nehmen daher die großen Plattformen der Zukunft – sprich eine Neue Klasse bei BMW oder die SSP bei VW, von denen sich die OEMs erhebliche Skalierungseffekte versprechen – eine Schlüsselrolle ein. "Wenn diese sowohl kommerziell als auch aus Kundensicht nicht sitzen, entsteht ein sehr großes Problem."
VDA fordert mehr politische Unterstützung
Zu den hausgemachten Problemen gesellen sich die ungleichen Rahmenbedingungen in der Produktion zwischen Europa und China. „China hat einen sehr hohen Weltmarktanteil bei der Extraktion und der Raffinierung der für die Batterie relevanten Rohstoffe. Die chinesischen Player kommen im Schnitt mehr als zehn Prozent günstiger an die Materialien heran“, sagt Brandt. Ferner nennt der Analyst die Arbeitskosten. China beispielsweise habe immer noch geringere Lohnkosten als Deutschland. Dieser Lohnkostenvorteil sei einfach größer als der Logistiknachteil. Ein weiterer Punkt betrifft die unterschiedlich angesetzten Qualitätsstandards. „Die chinesischen Unternehmen können so auf kostengünstigere Materialien, Spezifikationen oder Fertigungsverfahren zurückgreifen, die die Europäer gar nicht nutzen wollen“, so Brandt. Das heiße nicht, dass es sich bei den chinesischen Produkten um minderwertige Sachen handle. „Es sind teilweise nicht in gleicher Form bewährte Verfahren und Materialien.“ Der europäische Qualitätsanspruch stehe hier im Weg, was Brandt aber als positiv bewertet, auch wenn es das Potenzial für Kosteneinsparungen eben limitiere.
Im Jahr 2023 seien Berlin und Brüssel in vielen wichtigen Punkten nicht hinreichend weitergekommen, kritisiert der VDA. "Wir brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise, ein wettbewerbsfähiges Steuersystem und mehr Rohstoff- und Energiepartnerschaften. Auch beim Bürokratieabbau muss es endlich vorangehen", so eine Sprecherin. Derzeit jedoch schaffe Brüssel durch eine überbordende Regulierung vor allem neue Belastungen für die Unternehmen. Dennoch blickt der VDA positiv in die Zukunft, denn in Deutschland gebe es ein weltweit einzigartiges Netzwerk innerhalb der Branche. Das führe zu erheblichen Synergie-Effekte zwischen den Akteuren. „Es gibt eine unglaubliche Dichte von Fachkräften und die Branche in Deutschland ist sehr innovativ, was sich auch in der hohen Zahl von Patentanmeldungen zeigt“, so der Verband.
Das Übergangsjahr 2024 könnte trotz der fehlenden ganz großen Premieren neuer Modelle oder Zukunftsplattformen zu einem Wendepunkt werden, an dem sich entscheidet, ob und wie schnell die europäische Autoindustrie den Übergang zu einer nachhaltigeren, elektrisch angetriebenen Mobilität bewältigen kann. In den darauffolgenden Jahren werden die Einführung neuer Modelle und Plattformen, die Herausforderungen bei der Erschwinglichkeit von E-Autos und die Konkurrenz durch chinesische Hersteller die Branche prägen. Die Frage, wie viel Rückstand sich die europäische Industrie leisten kann, dürfte dabei im Zentrum der Diskussion bleiben.