
Der flächendeckende Einsatz von KI und weiteren technischen Innovationen soll die Fahrzeugproduktion effizienter, flexibler und qualitativ hochwertiger machen. (Bild: Adobe Stock / Georgii)
Die Berater von Bain & Company haben in einer aktuellen Analyse verdeutlicht, wie technologische Innovationen das Potenzial haben, die Automobilbranche tiefgreifend zu transformieren. Befragt wurden rund 300 Führungskräfte europäischer und nordamerikanischer Automobilunternehmen. Gerade der flächendeckende Einsatz von KI werde künftig entscheidend sein. Neben Effizienzvorteilen bringe er auch qualitative Verbesserungen – etwa durch KI-gestützte Simulationen und Automatisierungen in der Softwaredokumentation.
„Der konsequente und kombinierte Einsatz von innovativen Technologien wie Automatisierung, künstlicher Intelligenz und Robotik bietet der Automobilbranche eine Chance, wie sie sich für jede Generation nur einmal ergibt“, erklärt Bain-Partner Eric Zayer, der die Praxisgruppe Automotive und Mobilität in der EMEA-Region leitet. Er zieht Parallelen zur Phase der Öffnung des chinesischen Markts: „Wenn Hersteller und Zulieferer jetzt schnell die neuen technologischen Chancen nutzen und ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle grundlegend anpassen, können sie zu alter Stärke zurückfinden.“
Welches Potenzial steckt in der fabriklosen Produktion?
Die Vision reicht dabei bis hin zur fabriklosen Fertigung – ein Modell, das über 80 Prozent der Befragten bereits in Erwägung ziehen. Gemeint ist damit ein Produktionskonzept, bei dem Unternehmen auf eigene Fertigungsanlagen verzichten und stattdessen externe Partner mit der Herstellung beauftragen. Entwicklung, Design und Steuerung verbleiben beim Unternehmen, die physische Produktion erfolgt ausgelagert – ähnlich wie in der Halbleiterbranche.
Mit 94 Prozent zeigten sich europäische Hersteller hier besonders offen. Als angestrebte Vorteile stehen besonders eine gesteigerte Flexibilität, geringere Kapitalbindung und höhere Skalierbarkeit im Fokus. Doch um diesen Wandel zu realisieren, braucht es eine klare technologische Vision sowie ein entsprechendes Datenfundament – zwei Faktoren, bei denen viele europäische Unternehmen aktuell noch hinterherhinken.
Bain-Partner und Branchenkenner Björn Noack fordert vor diesem Hintergrund die Branche auf, trotz möglicher Widerstände ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln: „Jeder Fahrzeugersteller und -zulieferer braucht eine klare Vorstellung, wie er sich künftig vom Wettbewerb abgrenzt – das kann von einer modernen Fertigung über ein überlegenes Design bis hin zur Strahlkraft der Marke reichen.“ Der Rückgang der EBIT-Margen auf 6,8 Prozent bei Herstellern und 6,6 Prozent bei Zulieferern zeigt den wachsenden Druck in der Branche. Besonders betroffen sind westeuropäische Standorte: Ihr Kostennachteil gegenüber Werken in Osteuropa und China liegt bei 20 bis 30 Prozent – bei der Entwicklung von E-Auto-Plattformen sogar bei bis zu 85 Prozent.
Diese Lücke ließe sich nur schließen, wenn sowohl die etablierten Hersteller als auch ihre Zulieferer ihre Digitalisierung und Automatisierung noch einmal erheblich forcieren. Welche Potenziale darin liegen, zeigen weitere Ergebnisse der Bain-Analyse: Nach Einschätzung der Befragten kann ein technologiegetriebener Umbau der Fertigung die Effizienz bereits in den kommenden fünf Jahren um mehr als 30 Prozent steigern. Zudem könnte eine technologiebasierte Zusammenarbeit mit Zulieferern die Entwicklungszeiten für neue Modelle um mehr als 40 Prozent auf rund 30 Monate verkürzen.
Humanoide Roboter erobern die Fertigung
Bis 2035 soll vor allem der flächendeckende KI-Einsatz die Effizienz in der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen und Komponenten weiter steigern. „Insbesondere nicht- oder wenig wertschöpfende, aber zeitintensive Tätigkeiten wie beispielsweise die Software-Coding-Dokumentation lassen sich mithilfe von KI um bis zu 80 Prozent reduzieren“, erklärt Bain-Partner und Automobilexperte Dominik Foucar. „Dies spart sowohl Zeit und Kosten und erhöht gleichzeitig die Qualität gegenüber Kunden.“ Mehr als 80 Prozent der Befragten gehen zudem davon aus, dass KI-gestützte Simulationen dann eine dynamische Echtzeitanpassung der Fertigung ermöglichen werden. Zwei Drittel erwarten zudem, dass humanoide Roboter im kommenden Jahrzehnt die Produktion weitgehend übernehmen.
Bislang agierten europäische und nordamerikanische Unternehmen beim Einsatz von Technologien entlang der automobilen Wertschöpfungskette weitgehend auf Augenhöhe – das Potenzial sei allgemein erkannt. Während nordamerikanische Hersteller jedoch bereits daran arbeiteten, daraus konkrete Kostenvorteile zu realisieren, zeigten sich die Europäer zurückhaltender. So würden Autobauer in Nordamerika etwa im administrativen Bereich innerhalb der nächsten drei Jahre Einsparungen von bis zu 12 Prozent bei den Arbeitskosten planen – ihre Pendants in Europa verfolgten dieses Ziel bislang weit weniger entschlossen.
Unzureichende Datenqualität gefährdet Effizienzgewinne
Nordamerikanische Unternehmen zeigen sich laut Analyse deutlich überzeugter von den Chancen des technologiegetriebenen Wandels als ihre Wettbewerber aus Europa, die unter anderem in puncto Datenmanagement Hürden sehen. Diese Zurückhaltung – kombiniert mit einer bislang unzureichenden Datenqualität – gefährdet nach Einschätzung von Bain-Partner Noack die angestrebten Effizienzgewinne: „Angesichts der aktuellen Herausforderungen reichen inkrementelle Verbesserungen nicht mehr aus. Die Zukunft der Automobilbranche ist digital – und für diesen Wandel braucht es einen großen Wurf.“
Laut Zayer stehen selbst die Vorzeigestandorte der Automobilbranche gerade erst am Übergang von Lean-Konzepten hin zur digitalen Fabrik. Bis zu einer autonomen Fertigung unter Einsatz von KI und humanoider Roboter sei es noch ein weiter Weg. Dennoch ist Zayer optimistisch: „Die etablierte Automobilbranche verfügt über die Kompetenzen, die finanziellen Ressourcen und den Willen, den technologiegetriebenen Wandel aus eigener Kraft zu meistern – und sich im entstehenden Zeitalter der Elektromobilität erfolgreich zu behaupten.“ Sie müsse dafür nun entschlossen handeln, ausreichend investieren und bereit sein, auch schwierige Schritte zu meistern.