Noch ist es gespenstisch leer im Gebäude A22 im Audi-Werk Neckarsulm. Ein paar Handwerker schrauben die letzten Schilder an und entfernen die Flatterbänder. Nur gelegentlich taucht eine Rohkarosse in das kathodische Tauchbad mit der Grundierung, wird erstmals gedreht und gewendet und schnurrt 40 Meter weiter hinten wieder aus dem Becken, um danach in einem riesigen Ofen getrocknet und wie in einem gewaltigen Setzkasten auf einem halben Dutzend Etagen automatisch zwischengelagert zu werden.
Fliegender Start für den Audi A5
Doch in wenigen Tagen ist es vorbei mit der Ruhe in Halle A22, im sogenannten Sequenzer dahinter sind die mehr als 500 Stellplätze besetzt und auch in den anderen Hallen wird es zugehen wie in einem Ameisenhaufen. Denn nach reichlich Verzögerung, nach zwei Jahren Schulung und Umbau und einem langsamen Vorspiel beginnen die 15.000 Mitarbeiter am Neckar dann in einer Art fliegendem Start mit der Produktion des neuen Audi A5, der als erstes Modell auf der so genannten Premium Plattform Combustion (PPC) im November den bisherigen A4 ersetzt. Als Herzstück einer ganzen Familie neuer Verbrenner soll er die große Elektro-Offensive flankieren, die Audi vor ein paar Wochen mit dem Q6 e-tron losgetreten hat.
Während der Q6 und die meisten anderen Ableger aus der PPE-Familie ihre Heimat in Ingolstadt haben, wurzelt die PPC-Familie im Werk Neckarsulm, das dafür in den letzten Jahren für rund eine Milliarde Euro modernisiert wurde – zum Beispiel mit einer neuen Lackiererei, die, wenn sie im nächsten Jahr komplett betriebsbereit ist, zu den modernsten in der gesamten PS-Welt zählen soll. „Dafür haben wir am offenen Herzen operiert und die Anlage im laufenden Betrieb komplett erneuert“, sagt Werksleiter Fred Schulze.
So soll Neckarsulm klimaneutral werden
Neben Effizienz und Qualität ist die Nachhaltigkeit die wichtigste Leitlinie für die Produktion des intern B10 genannten A5. Schließlich will Audi schon ab dem kommenden Jahr in Neckarsulm wie in allen Werken bilanziell CO2-neutral produzieren, sagt Produktionsvorstand Gerd Walker. Sein Neckarsulmer Statthalter Schulze hat sich dafür gewaltig ins Zeug gelegt.
In der Lackiererei zum Beispiel ersetzt ein so genannter Vorzonen-Lack den bisherigen Füller, sodass ein Trocknungsschritt entfällt, allein dadurch pro Fahrzeug bis zu 140 kWh Energie gespart werden können. Ebenfalls Energie spart der so genannte Quertrockner, in den die Autos nach der Tauchlackierung um 90 Grad gedreht gefahren werden und bei 185 Grad von einem Heißluftgebläse besser von innen aufgeheizt werden. Auch die neue Trockenabscheidung des Lacknebels leistet pro Auto einen Beitrag von bis zu 50 kWh. Außerdem hat Audi zum Anlauf der A5-Produktion die Wasserversorgung modernisiert und die Filteranlagen verbessert und kann so künftig bis zu 70 Prozent Frischwasser einsparen.
Nachhaltigkeit ist für Schulze aber nicht nur definiert über den Energie- und den Wasserverbrauch, sondern auch über den Materialeinsatz. „Statt die Werkzeuge des bisherigen Modells abzubauen, weiterzuverkaufen oder gleich zu entsorgen, haben wir viele davon noch einmal überholt, modifiziert und modernisiert und nutzen sie jetzt ein zweites Mal“, erläutert ein Mitarbeiter aus Schulzes Team und verweist zum Beispiel auf die mittlerweile 80 kleinen Roboter, die als autonome Lieferschlepper über den Hallenboden surren.
A5-Fertigung geht nächsten Automatisierungsschritt
Für die neue Effizienz in der Produktion steht eine weitere Automatisierung der einzelnen Fertigungsschritte. So werden zum Beispiel mittlerweile 80 Prozent aller Materialien und Komponenten automatisch mit führerlosen Flurförderfahrzeugen ans Band geliefert. Beim Schweißen im Karosseriebau, wo 1.300 Mitarbeiter und 2.900 Roboter auf 113.000 Quadratmetern zunächst Limousine und Avant fertigen, hat Audi die Laser dreifach gebündelt und damit das Tempo von 50 auf 80 Millimeter pro Sekunde gesteigert. Sie haben das schmauchfreie Fixieren eingeführt, sodass die Lötpunkte, die geklebte Karosserieteile in Position halten sollen, nicht mehr aufwändig vom korrosiven Schmauch gereinigt werden müssen. Und mit dem Start des A5 wird Neckarsulm zum ersten Werk im gesamten VW-Konzernverbund, in dem Klappen und Kotflügel voll automatisiert montiert werden: Eine Anlage installiert die Heckklappe, eine weitere die Motorhaube und allein sieben Roboter sind gleichzeitig damit beschäftigt, die Kotflügel zu montieren.
Während die Karosserie mit einem Roboteranteil von 95 Prozent so weitgehend automatisch gefügt und dabei von einem neuen korrelationsfreien Messverfahren überwacht wird, entsteht an anderer Stelle die Bodengruppe und wird mit den neuen Antrieben bestückt: Einem 2,0 Liter-TFSI, einem nagelneuen 2,0-Liter-Diesel, der genau wie der drei Liter große V6-Benziner des S5 mit einem neuen Hybridbaustein zum Kurzzeitstromer wird, und bald auch mit einem Plug-In-Hybriden für 100 Kilometer elektrische Reichweite.
So will Werkleiter Schulze Tempo aufnehmen
Danach geht es in die Endmontage, wo es genau wie im Gebäude A22 aktuell noch vergleichsweise gemütlich zugeht: Gerade mal 18 Autos am Tag laufen hier derzeit vom Band. Die Taktzeiten sind lang und wenn bei der Hochzeit 33 Spindeln mit insgesamt 75 Schraubstellen die Bodengruppe und die Karosserie verbinden, kann man endlich mal in Ruhe zuschauen. Doch auch damit ist es bald vorbei. Tag für Tag zieht Werksleiter Schulze das Tempo an und spätestens nach den Werksferien wollen sie sich Schritt für Schritt der Kammlinie nähern. Schließlich soll im November der Verkauf beginnen und die Händler schreien nach ihrer Erstausstattung. Und nachdem sie die letzten Jahre nur im Zweischichtbetrieb gearbeitet haben, plant Schulze spätestens für Anfang 2025 endlich wieder mit einer dritten Schicht.
Denn beim A5, der hier als Limousine und Avant vom Band läuft, soll es nicht bleiben. Das bisherige A5 Cabrio werden sie zwar verlieren und wahrscheinlich auch das Coupé, und der nächste A6 läuft als PPE-Modell in Ingolstadt vom Band. Doch dafür bereiten sie sich in Neckarsulm schon auf den A7 vor, der ebenfalls noch in diesem Jahr anlaufen wird.
Und nein, nur weil sie den Zuschlag für die neuen Verbrenner bekommen haben, steuern sie nicht in eine Sackgasse, sagt Werksleiter Schulze. Denn erstens bauen sie mit dem kommenden A5 Plug-In-Hybrid ja schon eine Art Elektroauto mit thermischem Hilfsmotor, und zweitens sind alle neuen Anlagen so ausgelegt, dass dort Verbrenner genau wie BEV gebaut werden können.