Ambitionierte Ziele: Volvo verkündet, hier durch Heimo Schreier am Rednerpult, weitreichende Nachhaltigkeitsstrategien. Freilich steht dieses Thema samt dem damit verbundenen Marketing auch bei anderen OEMs auf der Agenda.(Bild: Benjamin Müller)
Nachhaltigkeit – auch auf der Dritev 2025, dem VDI-Kongress für Getriebe- und Antriebstechnik, ein wichtiges Thema. Wie OEMs, Zulieferer und Forscher CO2-Emissionen senken, Kreisläufe schließen und Komponenten neu denken wollen, erfahren Sie hier.
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Der forschungs- und kostenintensive Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit macht vor keinem Segment der Automobilindustrie Halt. Elektrifizierung, Kreislaufwirtschaft, Rohstoffsouveränität – alles zusammen beschleunigt Entwicklungszyklen, verzahnt vormals getrennte Disziplinen und zwingt Hersteller wie Zulieferer, Ökologie und Ökonomie simultan zu optimieren.
Die Dritev, der große VDI-Kongress für Getriebe- und Antriebstechnik, zeigte in diesem Jahr, dass Nachhaltigkeit auch in diesem Segment eine immer größere Rolle spielt. In Baden-Baden trafen sich Cell-Designer und Schmierstoffentwickler, Infrastrukturbetreiber und CO2-Bilanzierer, Start-ups mit Wasserstoff-Stacks und Konzerne mit Megawatt-Ladeplänen. Sie alle lieferten Bausteine für eine gemeinsame Botschaft: Wer künftig Antriebstechnik entwickelt, hat nicht mehr nur Newtonmeter, sondern auch den CO2-Fußabdruck im Blick.
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Selbstredend hat ein OEM andere Strategien und (ökonomische) Vorstellungen zu diesen Transformationsaufgaben als eine Forschungseinrichtung oder ein Staatssekretär. Gerade deshalb lohnt der breite Blick auf die verschiedenen Ansätze höchst unterschiedlicher Akteure, die sich in Baden-Baden zu diesem Themenkomplex einfanden.
Ulrich Zimmer, Senior Vice President – Head of Group R&D Battery and Charging bei Traton, fokussierte Nachhaltigkeit aus der Schwerlastperspektive. 40-Tonnen-Züge verursachen knapp die Hälfte der europäischen CO2-Emissionen im Transport; wer ernsthaft dekarbonisieren wolle, müsse folglich dort ansetzen, wo jede eingesparte Tonne den größten Hebel hat, so Zimmer.
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Zimmer sieht in batterieelektrischen Lkw gewissermaßen den Königsweg zur Dekarbonisierung, synthetische Kraftstoffe ernten hingegen Kritik. „E-Fuels sehen wir nicht als Zukunftstechnologie, da muss uns was intelligenteres einfallen“, so Zimmer. Bei grünem Strom landen drei Viertel der eingespeisten Kilowattstunden als Vortrieb auf der Straße; der Brennstoffzelle bleiben elektrolyse- und kompressionsbedingt maximal 25 Prozent. Real gemessene 0,8 kWh/km bei 40 Tonnen Gesamtgewicht zeigen Zimmer zufolge, dass Effizienz längst keine Theorie mehr ist.
Ulrich Zimmer präsentiert Tratons E-Trucks als einen Hebel zu mehr Nachhaltigkeit im Schwerlasttransport.(Bild: Benjamin Müller)
Dennoch will Traton technologieoffen bleiben: Wasserstoffverbrenner sind bereits bestellbar – sie bedienen Radstands- oder Reichweiten-Konfigurationen, für die heute noch Ladeinfrastruktur fehlt. Brennstoffzellen-Prototypen für die Ultra-Langstrecke will Traton Mitte der 2030er auf die Straße bringen.
Einen weiteren Ansatz sieht Zimmer in plattformübergreifender Zusammenarbeit. Seit dem 1. Juli 2025 arbeitet die Traton Group mit einer weltweit gebündelten Entwicklungsorganisation. Batterien, E-Powertrain, E/E-Architektur und Chassis sollen künftig plattformübergreifend in einer Hand liegen – für Zimmer ein Schlüssel zu wirtschaftlicher Vielfalt ohne technologische Zersplitterung.
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Infrastrukturelle Probleme sieht er als Nadelöhr.Traton habe unter anderem deshalb gemeinsam mit Daimler Truck und Volvo in Milence investiert – ein Joint Venture, das bis 2030 rund 1.700 HPC-Ladepunkte speziell für Schwerlastverkehr entlang der Hauptachsen errichten will. Zimmer zufolge ermöglicht der Dreiklang aus Megawatt-Chargern, robuster Netzanbindung und verlässlichen Strompreisen einen vernünftigen, und somit im doppelten Wortsinne nachhaltigen Business-Case.
Volvo: Modularisierung als Schlüssel im globalen Netzwerk
Im Anschluss an Zimmer zeigte Heimo Schreier, Director Electromobility Product & Range Management bei Volvo, wie sich Dekarbonisierungsansätze unter global verteilten Rahmenbedingungen bewegen. Der schwedische Konzern verkauft schließlich Lkw, Busse, Bau- und Marinemaschinen in mehr als 100 Märkten; jedes Land hat eigene Strompreise, eigene Wasserstoffpläne, eigene Förderkulissen – kurzum: Volvo muss sich durch einen Tarif- und Behördendschungel arbeiten.
Gerade deshalb, betont Schreier, darf Nachhaltigkeit weder als europäische Nische noch als technologische Einbahnstraße verstanden werden – sie müsse sich in einem Baukasten abbilden, der von Florida bis Finnland funktioniert und trotzdem lokale Feinheiten erlaubt. Den Kern dieses Baukastens sollen batterieelektrische Nutzfahrzeuge bilden.
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Volvo hält laut Schreier rund 40 Prozent BEV-Marktanteil in Nordamerika und 60 Prozent in Westeuropa – ein Pfund, das die Schweden nun in die zweite Produktgeneration überführen wollen: höhere Leistungsdichte, Downsizing von Nebenaggregaten und eine fahrerseitig erprobte Megawatt-Ladefähigkeit, die den gesetzlich verankerten Ruhezeiten exakt entspricht. In Göteborg wurde das Konzept bereits im Realbetrieb demonstriert; selbst Langstreckenzüge sollen künftig während der Pause genug Energie für die nächste Etappe nachfassen können.
Fossilfreier Transport soll laut Heimo Schreier im Jahr 2040 bei Volvo Realität werden.(Bild: Benjamin Müller)
Trotzdem will der skandinavische OEM der Versuchung widerstehen, alles auf die Strom-Karte zu setzen. Wo grüner Wasserstoff günstig werde, werde der Kunde eine Brennstoffzelle bevorzugen, mahnt Schreier; wo die Infrastruktur schwach ausgebaut sei, halte ein Diesel-Hybrid mit erneuerbaren Kraftstoffen Flotten mobil. Entscheidend sei, dass jedes Modul – Motor, Inverter, Batterie, Achse – in möglichst vielen Anwendungen wiederverwendbar bleibe, sonst zerfranse die CO2-Bilanz durch Variantenvielfalt.
„Wir setzen ganz stark auf Modularität“, so Schreier, der diesen Ansatz anhand von Zentralantrieben, die in Stadtbussen, Baumaschinen und im Fernverkehr zum Einsatz kommen, veranschaulichte. Dadurch würden Werkzeugeinsatz, Lagerbestände und Anlaufrisiken reduziert – und weitere CO2-Emissionen eingespart.
Wir bleiben in Schweden, verlassen allerdings die OEM-Perspektive. Denn während Fahrzeughersteller ihre Baukästen neu sortieren, setzt der schwedische Stahlhersteller Ovako am anderen Ende der Wertschöpfungskette an – dort, wo der Werkstoff entsteht, der Getriebewellen und Differentialringe erst möglich macht.
Nicklas Magnusson, Decarbonization Manager bei Ovako, zeigte in seinem Vortrag, wie sich CO2-Lasten verschieben, sobald die Lieferkette härter bepreist wird. Dies als Dreh- und Angelpunkt fixiert, beschrieb er den Ansatz seines Arbeitsgebers. Ovako setzt nämlich auf ein Produktionsmodell, das zu 97 Prozent auf Recyclingschrott und zu 100 Prozent auf fossilfreiem Strom basiert. Laut Magnusson liegt der Cradle-to-Gate-Fußabdruck von Ovakos Langstahlprodukten dadurch rund 80 Prozent unter dem globalen Durchschnitt, was den skandinavischen Produzenten zur Benchmark für Beschaffer mache, die ihre Scope-3-Emissionen schnell senken müssen.
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Ihm zufolge werde fortschreitende Regulatorik zum Gamechanger: Freie Zertifikate im EU-Emissionshandel laufen 2034 aus, während der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) Importeure zwingt, denselben CO2-Preis zu zahlen wie europäische Produzenten. Bei prognostizierten 250 Euro pro Tonne CO2 könnte konventioneller Stahl den Endpreis eines Antriebsstrangs bald stärker treiben als Seltene Erden oder Halbleiter. Wer zukünftig kostenneutral bleiben möchte, braucht Magnusson zufolge also Stahl, der gar keine oder nur verschwindend geringe Emissionsrechte mehr erfordert.
Fordert einen Blick über den (europäischen) Tellerrand: Nicklas Magnusson, rechts im Bild.(Bild: Benjamin Müller)
Die technische Blaupause für Ovakos nachhaltige(re) Produkte entstand bereits 2015. Zunächst elektrifizierte das schwedische Unternehmen alle Herdöfen und ersetzte Öl durch Gas-Oxyfuel-Brenner; anschließend folgte ein PPA-gestützter Wechsel auf 100 Prozent grüne Elektrizität. Den vorerst größten Schritt sieht Magnusson jedoch in einem 20-Megawatt-Elektrolyseur, der im mittelschwedischen Hofors betrieben wird: der dort produzierte grüne Wasserstoff soll jährlich bis zu 20.000 Tonnen CO2 einsparen, gleichzeitig Sauerstoff liefern und Abwärme in das lokale Fernwärmenetz einspeisen. In solchen „industriellen Ökosystemen“, sieht Magnusson einen wichtigen Nachhaltigkeitshebel für die Automobilindustrie.
Wie groß der Nutzen für OEMs ist, soll ein Carbon Calculator, den Ovako gemeinsam mit dem schwedischen Forschungsinstitut RISE entwickelt hat, unter Beweis stellen: Für mehr als 40.000 Produktvarianten werden dabei alle prozess- und transportbedingten Emissionen bis zum Werkstor erfasst – einschließlich Legierungsanteilen, Ausschussraten und Strommischungen. In einer Beispielstudie verdoppelte sich Magnusson zufolge der Product Carbon Footprint eines identischen Lagerstahls, wenn statt fossilfreiem nordischem Strom der EU-Durchschnitt und statt einer H2-Heizung ein Gasofen simuliert wurden. Für Antriebskonstrukteure bedeute dies: Materialentscheidungen im Grammbereich können über Tonnen CO2 in der Fahrzeugbilanz entscheiden und damit über Zielerreichung oder Strafzahlung.
Magnusson warnte jedoch davor, Near-Zero-Steel als unbegrenzt verfügbar zu betrachten. Die Branche ist auf saubere, sortenreine Schrottströme angewiesen – eine Ressource, die spätestens in den 2030ern knapp wird, wenn mehr Hersteller auf Recyclingkreisläufe setzen. Er appellierte deshalb an OEMs, ihre End-of-Life-Ketten zu stabilisieren und Restbleche aus Presswerken gezielt zurückzuführen.
Ovako selbst bleibt ambitioniert: Bis 2030 will der schwedische Stahlhersteller Semi-Solid-State-befeuerte Elektroöfen erproben, zusätzliche Elektrolysekapazitäten installieren und den Carbon Calculator in offene Datenstandards für den Digital Product Passport überführen. Gleichzeitig verhandelt das Unternehmen langfristige Abnahmeverträge mit großen Fahrzeugherstellern, um Investitionen in weitere H2-ready-Öfen zu sichern. Es bleibt also spannend im hohen Norden.
Das Recycling Seltener Erden stand im Zentrum des Vortrags von Jula Lanzer, Entwicklungsingenieurin bei Mercedes-Benz. Sie führte dem Fachpublikum eingangs eine Zahl vor Augen, die man leicht übersehen kann: Neodym-Eisen-Bor-Magnete wiegen im E-Motor nämlich kaum fünf Prozent, verursachen jedoch rund die Hälfte der rohstoffbedingten CO2-Emissionen des Aggregats. Damit wird ausgerechnet ein überaus kleines Bauteil zu einem überaus großen Hebel auf dem Weg zu mehr Klimaschutz.
Gleichzeitig stammen mehr als 90 Prozent dieser NdFeB-Magnete aus China. „Das ist natürlich eine Situation, die man in keinem Fertigungsprodukt haben möchte“, mahnte Lanzer hinsichtlich der chinesischen Dominanz, die auch diesem Segment keine Gefangenen macht. Dekarbonisierungsansätze und Versorgungssicherheit haben hier also ein klares gemeinsames Ziel: einen europäischen Kreislauf etablieren.
Lanzer verankert das Thema naturgemäß (auch) in der EU-Politik. Der 2024 in Kraft getretene Critical Raw Materials Act sieht ab 2029 eine Kennzeichnungspflicht für Dauermagnete vor – inklusive Angaben zu Zusammensetzung, Masse und Demontagefähigkeit. Ab 2032 sollen zudem verpflichtende Mindestanteile an recyceltem Material in diesen Magneten gelten.
EU-Vorgaben wie der Critical Raw Materials Act spielen in Jula Lanzers Überlegungen zum Recycling Seltener Erden eine wichtige Rolle.(Bild: Benjamin Müller)
Für Mercedes-Benz ist dies laut Lanzer gelebte Praxis: Während der durchschnittliche Rezyklatanteil in einem E-Motor bereits bei rund 45 Prozent liegt, enthalten die verbauten Magnete bislang noch kein Rezyklat – ein Defizit, das der Konzern künftig durch Urban Mining und gezielte Partnerschaften in der Kreislaufwirtschaft schließen will.
Der Fahrplan der Schwaben stützt sich auf zwei Recyclingpfade: Im Short Loop sollen Produktionsverschnitte oder ausgebautes Altmaterial direkt zerkleinert und in neuen Magneten verpresst werden. Das spart Energie und vermeidet lange Transportwege, doch Oxidation mindert bislang die Magnetstärke – für Hochleistungsmaschinen bleibt das folglich nur eine Teillösung. Im Long Loop sollen Altmagnete chemisch aufgelöst werden, sodass Seltene-Erden-Oxide in Primärqualität entstehen.
Hier arbeitet Mercedes-Benz mit dem Recycler TSR zusammen: Pilotanlagen zerlegen End-of-Life-Motoren vollautomatisch bis zur Magnetebene, sortieren Typen per KI-Bildauswertung und führen jede Charge in den optimalen Kreislauf. Laut Lanzer schafft die Entwicklungsabteilung parallel dazu die baulichen Voraussetzungen: standardisierte Verschraubungen statt Vergusssysteme, magnetfreundliche Beschichtungen gegen Oxidation und ein digitaler Materialpass, der bereits im CAD entsteht. So lässt sich später nachvollziehen, wo welcher Magnet sitzt und wie er problemlos ausgebaut werden kann.
Lanzer unterstreicht jedoch, dass der Ball nicht allein bei den OEMs liegt. Ohne stabile Rücklaufströme aus Werkstätten, Second-Life-Projekten und Altfahrzeugverwertungen drohe spätestens in den 2030er-Jahren Magnetknappheit. Die Botschaft an Zulieferer und Recycler lautet daher: End-of-Life-Logistik gehört genauso auf die Agenda wie Leistungselektronik oder Batteriezellen. Nur wenn alle Glieder der Kette zusammenarbeiten, wird die Seltene Erde vom Umwelt-Risiko zur -Ressource – und ein ganz kleiner Fahrzeugbaustein zum ganz großen Nachhaltigkeitsfaktor.
Einen anderen Zugang zum Thema Ressourceneffizienz präsentierte Arne Berger, Chief Engineer Advanced Engineering Driveline bei GKN Automotive. Im Zentrum seines Vortrags stand eine neue Heckantriebsplattform für batterieelektrische Fahrzeuge, bestehend aus dem RX8-Festgelenk, dem RDO-Plunging Joint sowie einer monoblockgeformten Antriebswelle (MTS).
Das Design basiert laut Berger auf dem Prinzip Minimized Manufacturing Effort: weniger Material, weniger Bearbeitung, weniger Fett. Ihm zufolge sind Auswirkungen konkret messbar: Die Stahlmasse wurde um bis zu 2,7 kg pro Welle reduziert, der Fettbedarf sank durch ein optimiertes Dichtungskonzept um 35 Prozent und eine vereinfachte Gelenkgeometrie verbessert die Effizienz in der Rotation.
GKN unterzog das System einer vollständigen Lebenszyklusanalyse. Laut Berger zeigt die LCA, dass sich in der Herstellungsphase eine Ersparnis von 104.900 t CO2 (zum Beispiel durch Material- und Prozessoptimierung) ergibt. In der Nutzungsphase steige die Ersparnis dann enorm: 1,69 Mio. t CO2e, was über 94 Prozent der Gesamteinsparung ausmacht. Grund dafür ist die Kombination aus Gewichtseinsparung und verbesserter Effizienz – insbesondere durch geringere Reibung im Gelenk, was sich wiederum positiv auf den Energieverbrauch des E-Fahrzeugs auswirkt.
Arne Berger untermauert seinen Ansatz zu Minimized Manufacturing Effort mit Erkenntnissen aus einer vollständigen Lebenszyklusanalyse.(Bild: Benjamin Müller)
Besonders hervorzuheben ist laut Berger die Methode zur Modellierung von Betriebseffizienz. Er präsentierte ein Bewertungsmodell, das den Wirkungsgradgewinn einzelner Komponenten (zum Beispiel eines Gelenks) direkt auf Reichweite und Batteriebedarf überträgt. Selbst kleine Verbesserungen – etwa ein Reduktionspotenzial von 0,15 kWh pro Achse – lassen sich so als konkreter Beitrag zur Reichweitenverlängerung oder Zellreduktion beziffern.
Gleichzeitig werde auch das Recycling mitgedacht: In einem separaten Projekt arbeitet GKN an einem remanufacturing-basierten Kreislaufmodell. Bereits heute werden jährlich über 250.000 Seitenwellen wiederaufbereitet – mit einer Energieeinsparung von 63 Prozent gegenüber der Neuproduktion. Perspektivisch will GKN diesen Ansatz auch auf Magnetmaterialien übertragen.
Bergers Vortrag zeigte: Nachhaltige Antriebe entstehen nicht allein durch E-Motor- und Batterieoptimierung. Auch vermeintlich unauffällige Komponenten wie die Antriebswelle bieten – richtig gedacht – signifikante Potenziale zur CO2-Reduktion.
TU Graz: Powertrain-Optimierung
Während GKN mit seiner Heckantriebsplattform vor allem das Nachhaltigkeits-Potenzial einzelner Komponenten ausschöpft, ging Dominik Lechleitner, Senior Researcher in Automotive and Digital Engineering an der TU Graz, in seinem Vortrag eine Ebene höher.
Der Österreicher betrachtete den kompletten elektrischen Antriebsstrang als Stellhebel für Nachhaltigkeit. Seine Analyse eines SUV mit 77 kWh-Batterie und 200 kW Systemleistung zeigt ein klares Bild: Rund 80 Prozent der gesamten Lebenszyklus-Emissionen liegen im Scope-3-Bereich, also in den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen – mehr als die Hälfte davon entsteht allein in der Fertigung der Bauteile. Der eigentliche Fahrbetrieb trägt dagegen – sofern mit EU-Strommix gerechnet wird – nur etwa 14 Prozent zum CO2-Fußabdruck bei.
Um diese versteckten Emissionen systematisch abzusenken, nutzt das Grazer Team die hauseigene Software OPED (Optimisation of Electric Drives). Das Tool generiert aus den Fahrzeuganforderungen automatisch tausende E-Powertrain-Varianten und bewertet sie parallel hinsichtlich Kosten, Package-Maßen, Wirkungsgrad und CO2-Bilanz. Schon in der Konzeptphase lassen sich Lechleitner zufolge somit Entscheidungen treffen, die hunderte Kilogramm CO2 pro Fahrzeug vermeiden.
Softwarebasierter Ansatz: Dominik Lechleitner präsentiert das an der TU Graz entwickelte Tool OPED.(Bild: Benjamin Müller)
Den größten Hebel sieht Lechleitner jedoch im Materialeinsatz: Aluminiumdruckguss, Kupfer und Seltene Erden dominieren den CO2-Fußabdruck von Batterie, Gehäuse, Motor und Leistungselektronik. OPED erlaube es, gezielt auf Materialsubstitution, Geometrie-Optimierung oder Shared-Component-Ansätze zu setzen. Durch Motorverkleinerung, den Verzicht auf das Differenzial und eine angepasste Inverter-Auslegung sollen sich bis zu 300 kg CO2 pro Fahrzeug einsparen lassen; schrumpft dadurch zusätzlich die Batterie, verstärkt sich der Effekt nochmals.
Ein weiteres Schlüsselelement sieht Lechleitner in der Modularisierung: Plattformen, die für mehrere Leistungsstufen und Karosserietypen skalierbar sind, reduzieren Entwicklungsaufwand, Teilevielfalt und Produktionsabfall – alles direkte Beiträge zur Scope-3-Entlastung. Gleichzeitig eröffne eine modulare Architektur Optionen für Remanufacturing-Kreisläufe oder Second-Life-Nutzung.
Lechleitners Fazit ist eindeutig: Die früheste Phase der Fahrzeugentwicklung bietet das größte CO2-Einsparpotenzial – vorausgesetzt, Designentscheidungen werden konsequent unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten getroffen. Mit OPED stellt die TU Graz ein Simulations- und Bewertungsframework bereit, das die Umweltauswirkungen unterschiedlicher Architektur-Optionen schon vor dem ersten Hardwareprototypen transparent macht. Die Wissenschaft leistet hier also ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit, umsetzen muss ihn freilich die Industrie.
VDA: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gefragt
Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), zeichnete in ihrem Vortrag das Big Picture. Die Kernbotschaft der ehemaligen Staatssekretärin unter Angela Merkel: Klimaneutralität und Digitalisierung sind keine getrennten Agenden, sondern zwei Seiten derselben Transformationsmedaille – und diese Transformation kann nur gelingen, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam verlässliche Rahmenbedingungen schaffen.
Müller erinnerte zunächst an die gesellschaftliche Rolle von Mobilität. Das Auto bleibe trotz aller Veränderungen ein integraler Bestandteil der Daseinsvorsorge, insbesondere im ländlichen Raum. Die Nachfrage junger Menschen widerlege die These vom generellen Bedeutungsverlust: Noch nie gab es in Deutschland so viele Pkw-Halterinnen und -Halter unter 25 Jahren. Genau deshalb müsse die Branche ihren Beitrag leisten, um Fahrzeuge und Infrastruktur in Richtung Null-Emission und Digitalisierung weiterzuentwickeln – allerdings unter realistischen Voraussetzungen.
Müller wies auf die Krisen hin, die seit 2020 scheinbar nahtlos ineinander gleiten: Pandemie, Halbleitermangel, Energiepreisschock, geopolitische Spannungen und Rohstoffengpässe. Gleichzeitig greifen neue Regulierungen – von CO2-Flottengrenzwerten bis hin zu Berichtspflichten –, ohne dass Lade- und Wasserstoffinfrastruktur im gleichen Tempo wachsen. Besonders hart treffe das jene Unternehmen, die früh in E-Mobilität investierten. Sie stünden nun vor der Gefahr diverser „stranded investments“, weil der Marktabsatz hinter den Vorgaben zurückbleibe, während Finanzierung – gerade für mittelständische Zulieferer – immer schwieriger werde.
Die VDA-Präsidentin warnt vor Überregulierung und Kostendruck als Bremsklötze für mehr Nachhaltigkeit: Hildegard Müller nimmt dafür Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in die Pflicht.(Bild: Benjamin Müller)
Die deutsche Automobilindustrie beschäftigt noch rund 730.000 Menschen; ob diese Jobs im Land bleiben, hängt Müller zufolge stark von Energiepreisen, Netz- und Genehmigungsdauern, Steuer- und Abgabenlast sowie der Verfügbarkeit grüner Energien ab. Gleichzeitig wachse der internationale Wettbewerbsdruck – insbesondere durch chinesische Hersteller, die mit einem Heimatmarkt von 1,4 Milliarden Menschen und enormer staatlicher Unterstützung global expandieren. „Es wird sicherlich nicht jeder chinesische Automobilhersteller überleben, aber trotzdem werden dort Giganten entstehen“, mahnte Müller.
Deutliche Kritik übte sie an der lückenhaften Ladeinfrastruktur: Ein Drittel der Kommunen verfügt über keinerlei öffentliche Ladepunkte, zwei Drittel nicht über Schnelllader – für schwere Nutzfahrzeuge sei die Lage „katastrophal“. Strafzahlungen für OEMs lösten das Problem nicht; vielmehr brauche es regelmäßige Reality-Checks und eine Politik, die Ziele an reale Infrastrukturfortschritte koppelt.
Des Weiteren plädierte die VDA-Präsidentin für flexible Antriebs-Mix-Strategien. Allein mit Batterie-Elektrofahrzeugen werde die EU-Vorgabe zur Emissionsfreiheit nicht zu halten sein, weil Netzausbau und erneuerbare Stromproduktion zu langsam vorankämen. Plug-in-Hybride, Range-Extender und synthetische Kraftstoffe für den Bestand sieht Müller als unverzichtbare Brückentechnologien. Einen entsprechenden Zehn-Punkte-Plan hat der VDA bereits in Brüssel eingebracht. „Reden Sie mit Ihren Abgeordneten – Europa muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden“, appellierte Müller an die politische Teilhabe eines und einer jeden.
Sieben Take-aways zur Nachhaltigkeit auf der Dritev 2025
Schwerlastverkehr bietet einen enormen Nachhaltigkeits-Hebel – batterieelektrische 40-Tonner können heute bereits mit unter 1 kWh pro km fahren.
Modularität im Nutzfahrzeugbau wirkt als Nachhaltigkeits-Multiplikator: Ein global einsetzbarer Baukasten mit wiederverwendbaren E-Antriebskomponenten senkt Fertigungs- und Logistikaufwand.
Stahl, der recyclingbasiert und mit fossilfreiem Strom hergestellt wird, senkt den Cradle-to-Gate-CO₂-Fußabdruck enorm – und avanciert angesichts steigender CO2-Preise zum Scope-3-Kostenvorteil.
Seltene Erden lassen sich durch designfreundliche Demontage und geschlossene Recycling-Loops zurückgewinnen – so wird ein kleines Bauteil zum großen Hebel für CO₂- und Versorgungsrisiko-Reduktion.
Minimized Manufacturing Effort reduziert Material-, Fertigungs- und Schmierstoffeinsatz. Das ermöglicht erhebliche CO2-Einsparungen im Lebenszyklus.
Software-gestützte Powertrain-Optimierung spart versteckte Scope-3-Emissionen: Durch automatische Generierung und Bewertung von E-Antriebs-Varianten lässt sich bereits in der Konzeptphase viel CO2 einsparen.
Gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist für eine nachhaltige Mobilitätswende essenziell. Diese gelingt nur mit flexibel angepassten, gemeinsam von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft getragenen Rahmenbedingungen – vom Infrastruktur-Ausbau bis zur Vermeidung von Finanzierungsfallen.
Stellt die Branche die Weichen für morgen?
Die Dritev 2025 hat gezeigt, dass die Branche bereits über Technologien verfügt, um Mobilität nachhaltig(er) zu gestalten. Ob dies gelingt, entscheidet sich unter anderem daran, wie schnell die Infrastruktur ausgebaut, Recycling optimiert und gesamtgesellschaftlicher Wille gefördert wird.
Nur wenn Lade- und Wasserstoffnetze flächendeckend ausgerollt, Industrieströme für Stahl, Seltene Erden und Batteriematerialien konsequent geschlossen sowie Regulierungen praktikabel gestaltet werden, entsteht ein belastbares Fundament für nachhaltiges Wachstum.
Wer heute eine Schraube im Getriebe schon als Klimaschutzbauteil begreift und in politische wie wirtschaftliche Machbarkeit übersetzt, legt den Grundstein für eine Mobilität, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch tragfähig werden kann – und sichert somit Deutschlands und Europas Zukunft als Innovations- und Produktionsstandort.