
Die Gigafabrik von ACC im französischen Douvrin wird aktuell erweitert. (Bild: ACC)
Weltweit geht der Trend zu einer stärker lokalisierten Produktion und Batterie-Lieferkette weiter. Die Automobilhersteller in Europa wollen ihre Lieferketten jetzt, während sich die EV-Landschaft noch entwickelt, strukturieren, damit diese künftig effizienter, kostengünstiger und straffer werden. Sowohl Mercedes-Benz als auch Stellantis verfolgen bei ihren Lieferketten für Batterietechnologie einen umfassenden Ansatz, von der Forschung und Entwicklung über die Rohstoffe bis hin zur Serienproduktion.
Die Batterien für die EQ-Modelle von Mercedes-Benz werden von einem globalen Batterieproduktionsnetzwerk geliefert, das Fabriken auf drei Kontinenten umfasst. Die lokale Batterieproduktion ist dabei ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der Elektro-Offensive des Automobilherstellers, der bereits in Deutschland in Untertürkheim, Hedelfingen und Brühl sowie im polnischen Kamenz und Jawor Batterien produziert. Weitere Standorte sind Tuscaloosa, Peking und Bangkok. Weitere Fabriken in Kölleda und Sindelfingen sowie in Kecskemét, Ungarn, wurden angekündigt.
Während die Stuttgarter Batteriezellen von verschiedenen Partnern auf dem Weltmarkt beziehen, um den Zugang zu den neuesten Technologien zu verbessern, hat der Automobilhersteller vor kurzem eine lokalisierte Rohstoffbeschaffungsstrategie eingeführt und 2022 eine Vereinbarung mit dem Lithium-Produzenten Rock Tech geschlossen. Der Raffineriebetreiber hat im vergangenen Jahr den Grundstein für eine Fabrik in Guben gelegt, die den Automobilhersteller mit Material für seine in Europa produzierten Elektrofahrzeuge versorgen wird. Die Batteriezellen werden ebenfalls in Europa von Automotive Cells Company (ACC) geliefert, woran sich der OEM zu gleichen Teilen wie Stellantis und Total Energies Anteile gesichert hat. Die Partnerschaft soll helfen, in Europa Batteriezellen und -module zu entwickeln, die auf die eigenen spezifischen Anforderungen zugeschnitten sind und diese effizient zu produzieren.
"Die Beschaffungsstrategie von Mercedes-Benz ist darauf ausgerichtet, dass in jedem wichtigen Markt die Beschaffung und die Produktion nahe beieinander liegen", sagt Gunnar Güthenke, Leiter Einkauf und Lieferantenqualität bei Mercedes-Benz. "Das reduziert unsere Abhängigkeit von einer bestimmten Region und erhöht die Nachhaltigkeit auch bei geopolitischen und makroökonomischen Unsicherheiten. Mit einer breiten Palette hochqualifizierter Partner in jedem Markt und erstklassigen Batteriezellentechnologien können wir unseren EV-Start beschleunigen."
ACC als Modell für die europäische Batterieproduktion
Stellantis ist zusammen mit Mercedes-Benz und der Total Energy-Sparte Saft Partner der Automotive Cells Company (ACC). Die Übernahme von Anteilen an dem Batteriehersteller ist Teil des Dare Forward 2030-Plans von Stellantis. Der OEM strebt an, bis 2038 in der gesamten Lieferkette CO2-frei zu sein, und hofft, dass die neue Gigafabrik von ACC im französischen Douvrin helfen wird, das Ziel zu erreichen, die Batterieproduktionskapazität in Europa bis 2030 auf 250 Gigawattstunden zu erhöhen.
"Wenn man sich entscheidet, etwas zu beschaffen, muss man viele Dinge verstehen, zum Beispiel die Kostenstruktur, die Entfernung, die Logistikkosten und je nachdem, was man liefert, muss man auch die damit verbundenen Tarife verstehen", sagt Maxime Picat, Chief Purchasing and Supply Chain Officer bei Stellantis.
Der Automobilhersteller baut eine Lieferkette rund um die Gigafactory in Douvrin auf. ACC plant, ein Speziallager in Nordfrankreich für die Batterielogistik zu nutzen. Der Logistikdienstleister PSA BDP eröffnete das 22.000 Quadratmeter große Lager in Dünkirchen im Juni 2023. Douvrin ist die erste von drei geplanten Gigafactorys in Europa, zwei weitere sind in Italien und Deutschland geplant – und ACC plant, die lokale Versorgung noch weiter auszubauen. Der CEO von ACC, Yann Vincent, sagte letztes Jahr, dass die Verlagerung von Batteriefabriken für Elektrofahrzeuge nach Europa eine Antwort auf mehrere Herausforderungen sei, darunter die Kontrolle der Produktionskette, die Verringerung der Umweltauswirkungen des Transports von Batterien und "die Konsolidierung der europäischen Automobilindustrie angesichts des globalen Wettbewerbs".
Bei der Lieferkette für Elektrofahrzeuge gibt es laut Picat noch mehr Dinge zu beachten. In einem sich ständig weiterentwickelnden Umfeld und angesichts möglicher neuer Regeln und Vorschriften für den Transport von Batterien und Batteriematerialien habe eine lokalisierte Lieferkette noch mehr Vorteile. "Der Transport von Rohstoffen wie Lithium ist etwas völlig anderes als der Transport eines Kunststoffteils. Eines Tages könnte die EU sagen, dass Batterien, die nach Europa kommen, dieses oder jenes Gesetz einhalten müssen. All das muss man abbilden."
Im November unterzeichnete Stellantis außerdem eine Absichtserklärung mit dem chinesischen Batteriehersteller CATL über die lokale Lieferung von Lithium-Eisen-Phosphat-Batteriezellen und -modulen für die europäische EV-Produktion des Unternehmens. Die beiden Unternehmen erwägen zudem, ein Joint Venture zu gründen, um weitere Möglichkeiten zur Stärkung einer lokalisierten Batterie-Wertschöpfungskette zu ermitteln.
Das Motto heißt Local for Local
Um die Risiken globaler Lieferkettenunterbrechungen zu vermeiden, setzt Mercedes-Benz auf einen Local-for-Local-Ansatz mit mehreren Lieferanten. "Damit sollen die Regionen unabhängig voneinander beliefert werden, wohl wissend, dass die Rohstoffvorkommen in einigen Regionen, auch in Europa, begrenzt sind. Dennoch sehen wir darin eine Chance, Abhängigkeiten zu reduzieren, indem wir unsere Beschaffungsstrategie diversifizieren", so ein Sprecher. Das Unternehmen sagt außerdem, dass Umweltaspekte von besonderer Bedeutung sind. Durch den Aufbau langfristiger und nachhaltiger Partnerschaften mit Rohstofflieferanten habe Mercedes-Benz einen starken Hebel, um seine Nachhaltigkeitsstandards direkt in der tieferen Lieferkette anzusprechen.
Die langfristige Strategie des Automobilherstellers besteht darin, den Rohstoffbedarf direkt und indirekt abzusichern, um Versorgungsrisiken zu mindern. Dazu gehört auch die Erschließung neuer Rohstoffquellen und die Zusammenarbeit mit Partnern an Konzepten, um die Menge an Rohstoffen pro Elektroauto deutlich zu reduzieren. Mercedes-Benz konzentriert sich dabei auf den Einkauf in der Nähe seiner Produktionsstandorte, um deren Widerstandsfähigkeit weiter zu erhöhen.
Für die Beschaffung von Rohstoffen gibt es verschiedene Modelle. Derzeit beziehen die Schwaben nicht viele Rohstoffe direkt, prüfen aber nach eigenen Angaben regelmäßig alle Optionen. Dazu gehört auch die Erkundung neuer Wege zur Sicherung nachhaltiger Rohstoffquellen, um die Nachfrage nach der Massenproduktion seiner E-Autos zu decken. Der OEM gibt an, dass er die Beschaffung seiner Rohstoffe diversifiziert und den Markt ständig nach weiteren Lieferanten durchsucht.
"Der Wandel zur Elektromobilität bedeutet für uns auch eine Veränderung unserer Lieferketten", sagt Güthenke. "Drei Ziele sind für uns zentral: Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit bei den Rohstoffen und wettbewerbsfähige Preise. Mercedes-Benz diversifiziert daher seine Beschaffungsstrategie und unternimmt Schritte zu einer stärkeren vertikalen Integration bei den Antriebstechnologien für seine Elektrifizierungsziele in den Schlüsselmärkten."
Joint Ventures zur Beschaffung von Rohstoffen
Maxime Picat von Stellantis ist der Meinung, dass die Vorteile der Lokalisierung von Fall zu Fall für verschiedene Rohstoffe abgewogen werden sollten. "Die Entscheidung für eine Lokalisierung hängt stark davon ab, ob sich die Beschaffung aus der Ferne auf die Kosten auswirkt oder nicht und ob die Wettbewerbsfähigkeit gegeben ist", sagt er. "Deshalb entscheidet man sich letztendlich dafür, seine Gigafabriken in Europa, in Frankreich, Italien oder Deutschland, zu errichten, weil man die Risiken und auch die Auswirkungen von Kosten wie Energiekosten versteht. Man nimmt all diese Faktoren und trifft seine Entscheidung."
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wird Stellantis infolgedessen gegebenenfalls weiterhin Material von einem beliebigen Ort in der Welt beziehen, während ein anderer Rohstoff oder eine andere Ware aus der Nähe bezogen wird. Darüber hinaus investiert Stellantis in Minen, um mehr Kontrolle über die Beschaffung von Rohstoffen wie Kathodenaktivmaterial (CAM), Pre-CAM, Lithium, Kobalt und Mangan zu haben. Bereits bei Materialien für Verbrenner hatte Stellantis ähnlich gehandelt und kaufte Palladium, Rhodium und Platin für Auspuffrohre, um die Materialien an seine Zulieferer weiterzugeben, die daraus das Endprodukt herstellten und zurück lieferten. Jetzt wird die gleiche Strategie für die Batterien angewandt, um die Lieferkette für Elektrofahrzeuge robuster zu gestalten.
Neue Joint Ventures für Gigafabriken werden von den Franzosen gegründet und Minen gekauft. "Wir beteiligen uns an Minen, um sicherzustellen, dass wir die volle Kontrolle über die Kosten [und] über die Mengen, die die Mine liefern kann, haben. Und dann müssen wir nur noch den Kreislauf schließen, indem wir die Rohstoffe sichern, die die Kette bis zur Batterie durchlaufen", sagt Picat.
Zukunftssichere Lieferketten durch Lokalisierung
Während die Vorteile der Lokalisierung auf der Hand liegen, ist es schwieriger zu bestimmen, wo genau eine Lieferquelle lokalisiert werden sollte, insbesondere eine E-Auto-Lieferkette in Europa. Da der Kontinent keine Tradition in der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien hat und die Batterielieferkette noch in den Kinderschuhen steckt, ist schwierig vorherzusagen, ob eine Region oder ein Land der nächste Hotspot für die Produktion und Logistik von Elektrofahrzeugen sein wird.
Für Stellantis ist die Lösung einfach: Man sollte nicht reparieren, was nicht kaputt ist. Der Automobilhersteller hat bereits über den ganzen Kontinent verteilte ICE-Werke und vertrauenswürdige Zulieferer und Partner, die bereit sind, sich anzupassen, ganz zu schweigen von qualifizierten Talenten, die andererseits in einer Welt ohne Verbrenner in einer prekären Lage wären.
"Um es klar zu sagen: 2035 ist das Ende des Verbrenners", sagt Picat. "Wir haben viele Werke, die derzeit nur Verbrennungsmotoren oder Getriebe herstellen, also müssen wir eine Lösung finden, denn unsere Mitarbeiter liegen uns am Herzen.“ Deshalb befinde sich die erste ACC-Gigafabrik in Douvrin, wo früher Verbrennermotoren hergestellt wurden. Picat fügt hinzu, dass Gigafabriken zwar überall in Europa entstehen, aber nicht billig sind und sich daher nicht einfach in eine Lieferkette einfügen lassen. "Man kann nicht jedes Mal ein paar Milliarden für eine Gigafabrik ausgeben, wenn es an einem Standort ein Risiko für die Lieferkette gibt.“ Bei der Entscheidung über den Standort seiner Gigafabriken hat das Unternehmen vielmehr die Standorte seiner früheren Montagewerke betrachtet und festgestellt, dass diese oft sehr gut passen, um die Werke umzurüsten und weiter zu nutzen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei unserem englischen Schwestermagazin automotive logistics. Das englische Original finden Sie hier.